Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
dringend geschmiert werden.
»Hallo, Fanny«, sagte Finley lächelnd. Sie rechnete nicht mit einer Antwort, denn Fanny besaß im Gegensatz zu den neueren Metallmenschen keine Spracheinheit und war auch nicht darauf programmiert, auf irgendeine Weise zu reagieren. Dennoch hatte Finley auch früher schon häufig mit dem alten Automaten geredet, und es wäre ihr falsch vorgekommen, dieses Mal darauf zu verzichten.
Silas und ihre Mutter waren nirgends zu sehen, doch jetzt war gerade Mittagspause für die arbeitende Bevölkerung. Griffin und seine Tante würden erst in zwei Stunden speisen und ein spätes Abendessen einnehmen, wenn Finleys Mutter bereits zu Bett ging. Die Unterschiede störten Finley nicht, doch sie fragte sich, was zum Teufel sie in der Gesellschaft von Menschen tat, mit denen sie offenbar nichts gemeinsam hatte.
Die Glocke über der Tür hatte bei ihrem Eintreten geläutet, und inzwischen war ihr Stiefvater sicher schon auf dem Weg nach unten. Finley blendete alle anderen Geräusche aus und lauschte. Sie hörte Silas’ Stimme und eine Tür, die sich öffnete.
»Mein Stiefvater ist unterwegs«, berichtete sie ihren Begleitern. Ihre Nervosität erwachte wieder.
Lady Marsden beäugte sie. »Sie können ihn hören.«
Das war eine Feststellung, keine Frage, also schenkte sich Finley eine Antwort. Fast schien es, als hätte die Marquise ihr etwas Schlimmes vorgeworfen. Sie bekam Schuldgefühle, weil sie einfach nur im Laden stand, obwohl sie hier doch eigentlich zu Hause war.
Als sich hinten die Tür öffnete, die nach oben führte, eilte Finley ihrem Stiefvater entgegen, um ihn zu begrüßen, und wurde mit offenen Armen empfangen.
Silas Burke war mittelgroß und von normaler Statur. Eigentlich war alles an ihm mittelmäßig – sein Temperament, sein Einkommen, seine Erscheinung. Ungewöhnlich an ihm waren lediglich seine Frau und seine Stieftochter.
»Oh, ho!«, rief er und hob sie hoch. »Wen haben wir denn da? Mary, schau doch mal, wer uns besucht!«
Lächelnd blickte Finley ihm in die freundlichen braunen Augen, die von tiefen Lachfalten eingerahmt waren. Als sie die Schritte ihrer Mutter auf der Treppe hörte, ging sie um Silas herum und begrüßte auch sie. Weitere Umarmungen und noch mehr Gelächter folgten. Erst als ihre Mutter in den Laden trat, erinnerte sich Finley, dass dies kein Freundschaftsbesuch war. Ihre Mutter erbleichte, kaum dass sie Lady Marsden erblickte, und Finleys Magen versank im Boden.
»Was wollt ihr denn hier?«, fragte ihre Mutter, was ihr einen entsetzten Blick ihres Gatten eintrug.
Er errötete sogar vor Verlegenheit. »Mary!«, rief er. So grob sprang man doch nicht mit einer feinen Lady um. Finleys Mutter hatte jedoch keineswegs die Absicht, sich zu entschuldigen.
»Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt uns in Ruhe lassen.« Ihre Mutter zitterte beinahe vor Wut. »Dein Bruder Edward hat uns versprochen, uns würde nichts geschehen und man würde uns nie wieder behelligen.«
»Kennt ihr euch etwa?« Nicht, dass Finley noch eine Bestätigung gebraucht hätte, aber sie wollte es trotzdem hören.
Schließlich antwortete Lady Marsden: »Das ist schon lange her. Wir haben uns nicht mehr gesehen, seit ich ein kleines Mädchen war. Wie geht es dir, Mary?«
Finley runzelte die Stirn. Wenn Griffins Tante ihre Mutter beim Vornamen ansprach, dann mussten sie früher wirklich gut miteinander bekannt gewesen sein. Ihr einziger Trost in diesem Durcheinander war, dass Griffin so wenig wie sie zu begreifen schien, was hier vor sich ging. Bisher war nur klar, dass ihre Eltern einander offenbar sehr gut gekannt hatten.
Steif wie ein Brett erwiderte ihre Mutter: »Bis vor ein paar Augenblicken ging es mir noch sehr gut.«
Eine bewusste Beleidigung, die niemand im Raum missverstand. »Mama, wir müssen mit dir reden«, schaltete sich Finley ein, bevor ihre Mutter noch etwas Dummes tat, wie etwa, die Marquise mit einem Fußtritt aus dem Geschäft zu befördern. »Können wir nicht nach oben gehen, wo wir ungestört sind?«
Ihre Mutter erweckte den Eindruck, lieber Rattengift schlucken zu wollen, als mit Lady Marsden irgendwo hinzugehen, doch die leicht hängenden Schultern verrieten, dass sie sich geschlagen gab. Diese unschuldige Geste löste eine wahre Sturmflut der Angst in Finley aus. Sie war nicht sicher, ob sie dieses Gespräch überhaupt noch führen wollte, so sehr sie auch darauf brannte, das, was mit ihr nicht stimmte, in Ordnung zu bringen.
So stiegen sie
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