Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
Gespräche einbezogen und fand keine Zeit mehr zu bedauern, dass er sie nicht geküsst hatte, als die Gelegenheit zum Greifen nahe gewesen war.
Später sah sich Finley von einem Impuls getrieben, den sie selbst nicht ganz begriff, und schickte eine Nachricht zu einem bestimmten Haus in Whitechapel. Sie enthielt nur eine einzige Zeile: Sagen Sie mir, dass Sie es nicht waren.
Dann wartete sie auf die Antwort. Griffin hatte ihr zwar erklärt, er könne irgendwie den Äther benutzen, um in diesem Mordfall zu ermitteln, doch das beruhigte sie keineswegs. Er hatte keinerlei Hinweise auf den Mörder gefunden und konnte nur mitteilen, dass die Behörden inzwischen nach einem männlichen Täter suchten.
Auch wenn sie nicht mehr unter Verdacht stand und wusste, dass sie es nicht getan hatte, war also immer noch unklar, wer der Mörder war. Falls Dandy auf ihr Gespräch hin Lord Felix getötet hatte, war sie mindestens teilweise verantwortlich für den Tod des Schufts.
Im Laufe des Tages kam nichts mehr heraus, doch als sie am nächsten Morgen allein beim Frühstück saß, brachte ihr der Butler einen Brief auf einem silbernen Tablett. Mit klaren, schwarzen Buchstaben waren ihr Name und die Adresse auf den Umschlag geschrieben. Auch das Siegel auf der Rückseite war schwarz, und im Wachs war nur ein einzelnes verschnörkeltes »D« abgebildet.
Mit zitternden Fingern brach sie das Siegel und zog das schwere, teure Briefpapier heraus. Auf ihre einzeilige Mitteilung hatte sie eine ebenso kurze Antwort bekommen:
Natürlich nicht, Schätzchen.
Sie warf den Brief ins Kaminfeuer und ging zu Griffin in die Bibliothek. Nun hatte sie die gewünschte Antwort erhalten, und die Sache war erledigt.
Ganz zufrieden war sie jedoch nicht. Es reichte nicht, dass Jack Dandy ihr gesagt hatte, er habe Lord Felix nicht getötet – schließlich wusste sie genau, dass Dandy klug genug war, es niemandem zu verraten, falls er dahinter steckte.
Zehn
ZEHN
A ls sie am nächsten Morgen recht einträchtig beim Frühstück zusammensaßen – sogar Sam war da –, traf eine weitere Lieferung für Finley ein. Anscheinend hatte sie bei dem großen »Manndroiden« und Lady Marsden einen Stein im Brett, nachdem sie Griffin geholfen hatte.
»Was ist es denn?« Emilys Augen waren groß wie Untertassen, als Finley die rosafarbene Schachtel in Empfang nahm, die mit einem eleganten, schwarz und rot gestreiften Geschenkband verschnürt war.
»Keine Ahnung«, antwortete sie völlig aufrichtig.
Lady Marsden zog eine Augenbraue hoch. »Die Sendung kommt von Madame Chérie. Was dort auch drinsteckt, es war teuer.« Finley starrte sie nur an. »Nun machen Sie schon, Mädchen, öffnen Sie das Päckchen!«, ermutigte die Lady Finley lächelnd.
Ebenso aufgeregt wie ungeschickt gehorchte Finley und legte das Geschenkband über die nächste Stuhllehne. Dann zog sie das hauchdünne rosafarbene Einwickelpapier zur Seite …
… und keuchte, als sie das Kostüm sah, das offenbar für einen vornehmen Maskenball gedacht war – ein feenhaftes Kleid aus schwarzen Federn, die im künstlichen Licht dunkelviolett, smaragdgrün und hellblau schillerten. Die dazu passende Maske lag daneben.
»Das ist das schönste Kleid, das ich je gesehen habe«, flüsterte Emily.
Finley war durchaus geneigt, ihr zuzustimmen. Etwas so Kostbares hatte sie jedenfalls noch nie ihr Eigen genannt. Das Mieder war von der gleichen Farbe und schimmerte wie ein strahlendes Pfauengefieder.
Staunend blickte sie auf und bemerkte, dass Griffin finster dreinschaute, während seine Tante neckisch lächelte. »Anscheinend haben Sie einen Bewunderer, Finley. Es ist aber schon sehr kühn, Ihnen so ein außergewöhnliches Geschenk zu machen.«
»Lies die Karte«, schlug Griffin vor. Es klang, als spräche er mit zusammengebissenen Zähnen, und sie sah die Kaumuskeln spielen. War er etwa eifersüchtig? Diese Vorstellung schien viel zu absurd, um sie ernsthaft ins Auge zu fassen, und doch war er offensichtlich verärgert. Also entweder Eifersucht, oder er hielt sie für liederlich, denn es war in der Tat höchst unschicklich, dass ein Gentleman einem anständigen Mädchen ein solches Geschenk zusandte. So etwas kauften Männer für ihre Gespielinnen.
Das schöne Kostüm war durch die skandalöse Art der Lieferung entwertet, und auf einmal hatte Finley Angst, die beiliegende Mitteilung zu lesen. Da die anderen sie erwartungsvoll anstarrten, blieb ihr schließlich jedoch nichts anderes übrig, als den
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