Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
kleinen Umschlag zu öffnen.
Ziehen Sie das heute Abend an, ich hole Sie um neun Uhr ab. Wir gehen zum Pick-a-dilly-Ball.
Jack
»Von wem ist es?«, fragte Griffin leise.
Mit pochendem Herzen blickte Finley ihn an. Schließlich räusperte sie sich. »Von Jack Dandy.« Mehr als ein heiseres Flüstern bekam sie nicht heraus.
Griffin schwieg, doch sie konnte erkennen, dass seine Knöchel weiß anliefen, als er die Kaffeetasse hob. In seinen Augen flackerte ein heftiges Unwetter, die Miene war versteinert.
»Da kannst du nicht hingehen«, wandte Sam geradeheraus ein. »Das ist nicht der richtige Ort für ein Mädchen.«
Emily starrte ihn finster an. »Aber du kannst da natürlich hingehen, nicht wahr, Samuel Morgan?«
Der kräftige junge Mann errötete. »Es ist gefährlich, Emmy. Männer können sich besser verteidigen.«
»Ich bin besser als die meisten Männer in der Lage, mich zu verteidigen«, erinnerte Finley ihn schroff. Es gefiel ihr nicht, wenn jemand ihr sagte, was sie tun und lassen sollte, und sie wollte unbedingt den Ball besuchen. Ein einziges Mal nur hatte sie mit anderen Zofen in einem dummen Nebenzimmer gehockt, mit dem Fuß zur Musik gewippt und warme Limonade getrunken. Als Tänzerin oder Debütantin mit einem schö nen Kleid war sie noch nie auf einem Ball in Erscheinung getreten.
»Du kannst natürlich tun, was du willst.« Griffin sprach immer noch leise und mit einem merkwürdigen Unterton. »Niemand kann bestreiten, dass du durchaus fähig bist, auf dich aufzupassen, falls du in Schwierigkeiten gerätst.«
Finley starrte ihn an. Meinte er das ehrlich, oder war das nur ein Lippenbekenntnis? Warum wollte ein Teil in ihr, dass er von ihr verlangte, nicht hinzugehen? Er sollte sich wie ein Tyrann aufführen und ihr befehlen, Dandy das Kleid zurückzuschicken und ihn nie wiederzusehen.
»Es könnte sogar von Vorteil sein«, überlegte Lady Marsden. Das klang ein wenig zu beiläufig, um glaubhaft zu sein. »Bei diesem Ball wird neben der Oberschicht auch der größte Teil der Londoner Unterwelt auftauchen. Das wäre genau der richtige Ort, um Informationen über den Maschinisten und seine Pläne zu sammeln.«
Der Maschinist – Finley kannte ihn nur aus der Zeitung. Die Polizei glaubte, er sei für die jüngsten Fehlfunktionen der Automaten verantwortlich. Aus dem Augenwinkel warf sie Sam einen raschen Blick zu. Sein bleiches Gesicht war angespannt, sonst ließ er sich nichts anmerken. Er wollte doch sicher auch den Verantwortlichen für den Angriff finden, der ihn fast das Leben gekostet hatte? In gewisser Weise tat sie ihm sogar einen Gefallen, wenn sie zum Ball ging.
Emily gab schließlich den Ausschlag – nicht der versteinerte Griffin oder der verletzte Sam, nicht einmal die verschlagene Lady Marsden. Die kleine Emily mit dem strähnigen Haar, den Hosen und den viel zu kurzen Fingernägeln. Sie war aufgestanden und um den Tisch herumgekommen, um in die hübsche Schachtel zu spähen und mit kleinen bleichen Händen das wundervolle Mieder zu streicheln.
»Damit wirst du aussehen wie eine Prinzessin«, murmelte sie und seufzte.
Ja, dachte Finley. Wahrscheinlich würde sie sich auch wie eine Prinzessin fühlen. Und auf einem Ball, wo sich die Halbwelt Londons mit dem Adel und allem traf, was zwischen beidem angesiedelt war, wäre Jack Dandy so etwas wie ein Prinz.
Mit trotzig gerecktem Kinn erwiderte sie Griffins harten Blick. Er hätte sie ja einladen können, mit ihm den Ball zu besuchen. Aber das war wohl nicht möglich, denn wenn er es tat, würden alle glauben, sie wäre seine Geliebte und eine Pros tituierte. Jack Dandy konnte sich über solche Benimmregeln hinwegsetzen, denn er gehörte im Gegensatz zu Griffin King in ihre eigene Welt.
»Du hast Recht«, sagte sie und unterdrückte das Zittern ihrer Stimme. »Ich sollte tun, was ich tun will. Ich gehe hin.«
Griffin hatte noch nie zu körperlicher Gewalt geneigt. Seine Fähigkeiten ersparten es ihm meist, auf die Fäuste zurückzugreifen. Auch als vornehmer Gentleman kam er jedoch nicht umhin, sich gelegentlich körperlich zu betätigen. Die meisten jungen Männer aus seinen Kreisen bevorzugten das Boxen oder Fechten, er dagegen hatte sich für eine Sportart entschieden, die »Jiu-Jitsu« hieß. Dabei handelte es sich um eine japanische Kampfkunstform, bei der die Samurais keine Schwerter oder Pistolen, sondern die Hände und den ganzen Körper als Waffe einsetzten.
Jasper, der Amerikaner, den er vor einiger Zeit
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