Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
Vorfälle womöglich gar nicht so unbedeutend und willkürlich, wie es scheint. Vielleicht experimentiert er nur und vervollkommnet seine Technik.«
»Worauf will er dann wohl hinaus?«
»Wenn ich das wüsste. Vielleicht baut er einen mechanischen Meuchelmörder oder einen Automaten, den er aus der Ferne steuern kann und der für ihn die Verbrechen begeht.«
Jasper pfiff durch die Zähne. »Du hast Recht. Das ist keine Kleinigkeit.«
Nein, gewiss nicht. »Jasper, ich brauche deine Hilfe«, sagte Griffin zu dem jungen Mann, der zu einem guten Freund geworden war. »Der Maschinist ist offenbar dafür verantwortlich, dass Sam schwer verletzt wurde. Wenn er etwas Großes und Gefährliches plant, will ich ihn möglichst schnell ausschalten.«
Der Cowboy nickte knapp. »Alles klar. Ich werde sehen, was ich tun kann. Übermorgen komme ich vorbei und informiere dich über alles, was ich herausgefunden habe.«
Beinahe hätte Griffin vor Erleichterung geseufzt. »Danke.« Jasper Rale war kein Adliger, aber durchaus ein Mann von Ehre. Sein Status als gemeiner Bürger erlaubte es ihm allerdings, in zweifelhaften Kreisen zu verkehren, denen sich Griffin nicht nähern durfte. Keinesfalls konnte er sich als jemand anders ausgeben, doch ein amerikanischer Cowboy galt allent halben als geborener Rebell und jemand, der es mit Richtig und Falsch nicht immer ganz genau nahm.
Als er sich verabschieden und nach Hause gehen wollte, fielen ihm zwei identisch gekleidete Damen auf. Den erstaunli chen, knallroten Pagenschnitt erkannte er sofort – es waren die Cardinal Twins, Trapezkünstlerinnen im Zirkus. Heute trugen sie an Porzellan erinnernde Masken, auf die ihre eigenen Gesichtszüge gemalt waren – ein seltsam beunruhigender Anblick –, mit Kristallsplittern geschmückte Korsetts und Bloomers mit aufgenähten weißen Straußenfedern.
»Hallo, Gentlemen«, grüßten sie in perfekt einstudiertem Chor. »Möchten Sie uns nach drinnen begleiten? Dort ist es viel unterhaltsamer als hier draußen.«
Da eine ihm schon eine Hand bot, konnte sich Griffin nicht mehr entziehen. Er war zum Gentleman erzogen, und ein Gentleman wies eine Lady nicht einfach ab.
Er bot ihr den Arm, worauf sie sich anmutig, doch mit kräftiger Hand einhakte. Was die echten Lippen unter der lächelnden Maske taten, konnte sich Griffin beim besten Willen nicht vorstellen.
So übernahm er die Führung und teilte die schweren roten Vorhänge, die den Zugang zum innersten Heiligtum verdeckten. Zu lebhafter Musik tanzten dort die Gäste, während sich die Künstler durch die Menge bewegten. Später sollte es noch eine atemberaubende Vorstellung geben, bei der die Cardinal Twins zweifellos die Hauptrolle spielen würden.
Aus dem warmen Saal schlug Griffin warme und stickige Luft entgegen. Es war voll, und die Leute gerieten ins Schwitzen. Trotzdem, die Musik war mitreißend, und die Erregung der Menge durchdrang die Luft und den Äther – dieser Energie konnte nicht einmal er sich verweigern.
Auf einmal zog irgendetwas seinen Blick an. Eine junge Frau in einem prächtigen Federkostüm, in dem sie an einen exotischen Vogel erinnerte. Sein Herz pochte schmerzhaft in der Brust, als er sie erkannte. Dank seiner Sinne hatte er sie entdeckt, ohne sich wirklich nach ihr umgesehen zu haben.
Finley. Und sie hielt sich an Jack Dandy fest wie eine verliebte Frau.
Elf
ELF
F inley klammerte sich an Jack DandysArm, als ginge es um das nackte Überleben. Sie sah sich im überfüllten Zirkus um und fragte sich, was sie hier verloren hatte.
Ihr Begleiter war gewiss sehr charmant, sah auf finstere Art gut aus und hatte eine entzückende Art, die Sprache zugleich schöpferisch anzuwenden und zu massakrieren. Jedes Wort, das aus seinem Mund kam, fand sie einfach nur faszinierend. Allerdings hatte sie nicht die geringste Ahnung, warum er ausgerechnet sie hierher ausgeführt hatte.
Kaum vorstellbar, dass er an ihr interessiert war. Nein, ihre dunkle Seite hatte Jack Dandys Interesse geweckt, und diese Seite wurde beständig stärker, je mehr Zeit sie in diesem Etablissement verbrachte. Sie spürte förmlich, wie diese Kraft gegen die Wände des Käfigs anrannte, den sie in sich errichtet hatte. Die dunkle Seite mochte diesen Ort und die Gesellschaft, doch dieser Energie durfte sie keinen freien Lauf lassen – jedenfalls nicht ganz und gar. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, was das letzte Mal geschehen war, als die dunkle Seite hervorgebrochen war, und so etwas
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