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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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seinen Adern rauschte, während sein Degen auch schon auf den des ersten gegnerischen Reiters traf. Er sah, wie der Mann vom Pferd stürzte, als sich von links auch schon der nächste näherte. All seine Sinne richteten sich nur noch aufs Kämpfen – und aufs Überleben. Um sich herum roch er den Schweiß, das Blut und die Angst, und er hörte Schreie und Stöhnen. Er brüllte seinen Männern Befehle zu, während er wahrnahm, dass es ihnen tatsächlich gelang, die feindliche Linie in Unordnung zu bringen.
    Er wollte gerade den Rückzug anordnen, als er von zwei gegnerischen Reitern vom Schlachtfeld abgedrängt wurde. Vardes versuchte, ihnen auszuweichen und zu entkommen, doch sie folgten ihm. Irgendwo hinter einer Baumgruppe ging der Kampf weiter. Es gelang ihm, einen der beiden zu verwunden und vom Pferd zu reißen, als er von hinten einen Stoß erhielt. Der andere Mann hatte sich vom Rücken seines Wallachs auf ihn gestürzt. Sie gingen zusammen zu Boden. Der Aufprall war hart, er rollte in einer blitzschnellen Bewegung zur Seite, griff seinem Gegner mit der einen Hand auch schon an die Gurgel, während er mit der anderen gleichzeitig seinen Dolch zog, um ihn diesem in den Hals zu rammen. Mitten in der Bewegung hielt er entsetzt inne – er kannte den jungen Mann vor sich. Er war jung – höchstens siebzehn Jahre alt.
    »Verdammt! Simon?«, entfuhr es ihm.
    Der Brustkorb des jungen Mannes vor ihm senkte sich in schnellen Zügen auf und ab. Er sah, wie die Angst und der Hass auf seinem Gesicht einem fassungslosen Ausdruck wichen. Vardes nahm benommen die Hand von seiner Gurgel. Es war bestimmt drei Jahre her, dass sie sich gesehen hatten. Es war eines der letzten Male, die er im Haus seines Vaters gewesen war, der ihm den Verrat der katholischen Religion nie verziehen hatte. Simon war der Sohn von Madame Anne, der Haushälterin seines Vaters.
    »Monsieur? Ihr?«, brach es stotternd aus dem jungen Mann heraus.
    »Wie um Gottes willen kommst du dazu, hier zu kämpfen?«, fuhr Vardes ihn aufgebracht an.
    »Ich? Aber wir verteidigen uns doch nur …«, versuchte sich Simon zu rechtfertigen, der leichenblass war. Ihm schien nur zu bewusst zu sein, wie knapp er gerade dem Tod entronnen war.
    Etwas in seiner Stimme erinnerte Vardes an sich selbst und an die unzähligen anderen jungen Männer, die die ersten Male in die Schlacht zogen, euphorisch und voller Ungeduld zu kämpfen – bis sie den Krieg wirklich erlebten.
    » Verteidigen? Weiß deine Mutter, dass du hier bist?« Vardes fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
    Simon schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe mich mit einigen Männern der Bürgermiliz angeschlossen, die erzählt haben, dass der König noch Soldaten sucht.«
    Vardes reichte ihm ungläubig die Hand und zog ihn auf die Beine. Sie hatten sich bestimmt eine halbe Meile von dem Kampfgeschehen entfernt, stellte er fest. Zumindest war sein Pferd nur wenige Schritte entfernt im Schutze der Baumgruppe stehen geblieben.
    »Danke, dass Ihr mir nichts getan habt«, sagte Simon betreten.
    Vardes nickte. Er bemerkte, dass der Junge auf seine Wange starrte und noch immer etwas Angst vor ihm zu haben schien. Plötzlich hasste er diesen Krieg. Nur wenige Stunden zuvor hatte er sich noch gefragt, wie sich Coligny fühlen musste, gegen seinen eigenen Onkel in den Krieg zu ziehen, und nun hätte er selbst beinah diesen Jungen getötet, der wie ein eigenes Kind in seinem Elternhaus groß geworden war.
    Er legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sieh zu, dass du hier verschwindest und nach Hause kommst, Simon«, sagte er rau.
    Der Junge nickte und wollte sich gerade abwenden, als Vardes etwas einfiel.
    »Du könntest etwas für mich tun! … Ich habe einen Brief für meine Schwester, der dringend nach Paris müsste!«, erklärte er.
    Simon blickte ihn überrascht an.
    Vardes reichte ihm das Schreiben, das er seit Tagen unter seinem Wams bei sich trug.

79
    S chlaflose Nächte lagen hinter Madeleine. Immer wieder sah sie das Gesicht der Medici vor sich – ihre Enttäuschung und Ungehaltenheit, dass sie nichts über die Schlacht hatte vorhersagen können. Sie hatte ihre Erwartungen nicht erfüllt und darüber hinaus auch noch ihre Zeit vergeudet!
    Auch wenn niemand etwas gesagt hatte, Madeleine spürte, dass dieser Moment unumstößlich etwas in ihrem Verhältnis zu der Königinmutter verändert hatte und sie sich ihrer Gunst nicht mehr sicher sein konnte. Bedrückt fragte sie sich, was nun geschehen würde. Mehr als einmal

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