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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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wusste nicht einmal ihren Namen – und das, was sie eben gehört hatte. Stimmte es, was sie Monsieur Paré gegenüber behauptet hatte, dass sie wirklich hellsehen konnte? Das würde auch erklären, warum ihre Mutter ein Geheimnis um sie machte und sich überhaupt für sie interessierte. Margot verzog den Mund. Wie um all diese Absonderlichkeiten und Kuriositäten, die es in diesem abgeschlossenen Trakt gab, der an die Privatgemächer ihrer Mutter anschloss. Niemand außer ihr und Lebrun hatten hier Zugang. Die Türen wurden streng bewacht, und es gab sogar einen eigenen Eingang, der unten am Ufer der Seine versteckt zwischen Bäumen und Büschen lag. Schon vor einiger Zeit hatte Margot durch einen Zufall die geheime Seitentür hinter der Wandverkleidung entdeckt. Seitdem hatte sie sich immer wieder voller Neugier in den geheimen Trakt geschlichen. Sie liebte den Nervenkitzel, wenn sie sich heimlich und leise durch die Flure stahl, voller Angst, dass sie jemand entdecken könnte, und gleichzeitig innerlich zum Zerreißen gespannt, was sich wohl hinter den einzelnen Türen verbergen mochte. Zweimal schon war ihr auf dem Weg eine Wa che begegnet, und sie hatte fast befürchtet, entdeckt worden zu sein. Ohne sich ihren Schreck anmerken zu lassen, hatte sie ihren gesamten Mut zusammengenommen und ihnen einfach nur einen hochmütigen Blick zugeworfen. Instinktiv hatten die Wachen auf ihren Rang reagiert und nur höflich den Kopf geneigt und sie weitergehen lassen. Wer hätte auch schon vermutet, dass sich die Tochter der Medici heimlich hier hereingestohlen hatte? Ein zufriedenes Lächeln glitt über ihr zartes Gesicht. Sie wusste, dass alle sie für hübsch und ein wenig dumm hielten – aber die Menschen täuschten sich. Vor allem ihre Mutter, die sie behan delte wie einen schönen, aber unnützen Gegenstand. Schon immer hatte sie ihren Brüdern mehr Interesse und Zuneigung zukommen lassen als ihr. Margots volle Lippen verzogen sich unwillkürlich zu einem schmalen Strich. Selbst ihre Zwerge erhielten mehr Aufmerksamkeit. In den Augen ihrer Mutter und ihrer Brüder taugte sie, Margot, höchstens dazu, verheiratet zu werden, um die Macht des Hauses Valois zu stärken. So wie ihre ältere Schwester Elisabeth, die mit dem spanischen König vermählt worden war – einem Mann, der vom Alter her gut ihr Vater sein konnte. Mit Grauen dachte die Prinzessin daran, dass ihr eines Tages ein ähnliches Schicksal drohen könnte. Sie hob entschlossen das Kinn. Aber dazu würde sie es nicht kommen lassen. Der Mann, den sie heiraten würde, sollte jung und stark sein – und Macht besitzen, und zwar hier in Frankreich, damit sie ihrer Mutter und ihren Brüdern zeigen konnte, dass sie zu mehr in der Lage war, als diese glaubten. Es musste ein Mann wie dieser junge Herzog, dieser Henri de Guise, sein. Ein aufgewühltes Gefühl ergriff Margot, als sie an ihn dachte. Obwohl er nur zwei Jahre älter als sie war, ließ ihn seine selbstbewusste Art wesentlich reifer wirken. Sie hatten sich bereits mehrmals heimlich getroffen. Henri hatte ihr klargemacht, dass vorerst niemand davon wissen durfte, weil es zu gefährlich sei. Dabei war zwi schen ihnen bisher nichts geschehen – sie hatten sich nicht einmal geküsst, doch Margot spürte, dass sich das in naher Zukunft ändern würde.
    Sie wollte, dass er sie küsste, dachte sie, und sie wollte, dass in seinem Blick mehr als nur die geschmeichelte Eitelkeit lag, dass sich die Schwester des Königs für ihn interessierte. Ja, sie wollte ihn beeindrucken. Schon seit einiger Zeit hatte sie überlegt, was sie tun konnte, um das zu erreichen, und plötzlich wusste sie es. Der Gedanke versetzte sie in Aufregung.
    Am nächsten Vormittag traf sie sich mit ihm im Garten, an einer der kleinen Fontänen. Es war kalt, und er legte ihr fürsorglich seinen pelzgefütterten Umhang um die Schultern.
    »Hat dich jemand gesehen?«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich werde Paris schon bald verlassen, wir ziehen mit den Truppen meines Onkels gen Süden.«
    »Du wirst kämpfen?« Der Gedanke gefiel ihr und machte ihr doch zugleich Angst.
    Er nickte.
    »Soll ich dir vorher etwas zeigen? Etwas, das du noch nie gesehen hast?«, fragte sie ihn.
    »Und was sollte das sein?«, fragte er amüsiert und bedachte sie dabei mit einem Blick, als würde er mit einem Kind sprechen. Sie wurde wütend. »Vielleicht hast du ja gar nicht den Mut, es dir anzusehen!«, sagte sie hochmütig.
    Er zog die Augenbrauen hoch, und sie

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