Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
ich das denn erklären?«, fragte sie tonlos.
Lebrun wandte sich zu ihr. »Indem du die Wahrheit sagst! Dass dich die Guise entführt haben, dass du verhört und gefoltert wurdest und nur mit knapper Not mit dem Leben davongekommen bist. Der Krieg ist Entschuldigung genug, dass du nicht früher zu ihnen zurückgekehrt bist, sondern dich in dieser Zeit in Paris verstecken musstest.«
Sie schwieg. Sie hatten sich bereits alles ganz genau überlegt, wurde ihr voller Ohnmacht klar. »Nein«, sagte sie dann entschieden. »Es tut mir leid, aber das kann ich einfach nicht. Ich möchte Euch nur zu gerne zu Diensten sein, das müsst Ihr mir glauben, aber nicht so. Ich wäre nicht fähig, das zu tun …«
Sie brach ab, als sie den ungehaltenen Ausdruck der Medici bemerkte. Die Königinmutter hatte sich abrupt aus ihrem Lehnstuhl erhoben.
»Offensichtlich bist du verwirrt. Daher verzeihe ich dir deinen Widerspruch«, sagte die Medici. Ihre harte Stimme hatte einen unmissverständlich autoritären Ton bekommen. »Vielleicht habe ich mich ja auch nicht klar ausgedrückt. Das ist kein Wunsch, sondern ein Befehl!«
85
D er Geheimdienstchef war wortlos vor einer Tür stehen geblieben. Madeleine hatte nicht einmal mitbekommen, dass sie sich in einem anderen Flur befanden. Ihr Herz pochte, als Lebrun die Tür öffnete und ihr mit einer knappen Geste bedeutete einzu treten. Sie folgte ihm und nahm überrascht wahr, dass der Raum, in den sie hineingekommen waren, kahle Wände hatte und bis auf einen schlichten Holztisch und einfache Stühle unmöbliert war.
Sie drehte sich zu dem Geheimdienstchef, der die Tür hinter ihnen schloss und sie mit ausdrucksloser Miene ansah.
Furcht ergriff sie.
»Es tut mir leid, ich …«, begann sie, aber sie kam nicht einmal dazu, den Satz zu Ende zu sprechen, denn im selben Augenblick hatte er sie auch schon mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen.
Madeleine schrie auf und taumelte nach hinten, als seine Hand sie auch schon von Neuem traf. Schützend versuchte sie, ihren Arm vor das Gesicht zu nehmen. Doch er riss ihre Hände mit überraschender Kraft herunter und schlug sie erneut.
Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten.
»Was glaubst du, wer du bist?«, fragte er sie schließlich kalt. »Wie kannst du es wagen, solchen Widerspruch zu geben?« Er hatte nicht einmal die Stimme erhoben, doch seine Ruhe war fast noch beängstigender, als wenn er laut geworden wäre.
»Du bist nichts, gar nichts, verstehst du? Wir haben dich aus dem dreckigen Verlies geholt, als du fast im Sterben lagst. Alles, was du jetzt bist, verdankst du allein der Königinmutter, und dein Leben gehört nur ihr, ihr allein. Hast du verstanden?«, fragte er mit eisiger Stimme.
Sie blickte ihn benommen an. Ihre Wangen brannten, doch sie merkte, dass der Schreck, von ihm geschlagen zu werden, schlimmer gewesen war als der Schmerz.
»Ich weiß, was ich der Königinmutter schulde«, sagte sie tonlos. »Aber das … das kann ich einfach nicht!«
Lebrun zog die Augenbrauen hoch. Er hatte sie losgelassen. »Du kannst nicht? Keine Angst, das wirst du!«, sagte er. Er deutete auf einen der beiden Stühle. »Setz dich!«, befahl er.
Sie nahm zögerlich Platz.
»Ich bin ein Freund von klaren Worten. Das macht es für uns beide einfacher. Also, höre zu. Du wirst zu den Hugenotten zurückkehren und uns bei ihnen als Informantin zu Diensten sein. Es gibt genug Mittel und Wege, dich dazu zu bringen, und nur einer davon wäre der, dich den Guise auszuliefern«, erklärte er.
Sie blickte ihn fassungslos an. »Ihr wollt mich wirklich zwingen?«
Er zuckte die Achseln. »Ich würde es vorziehen, wenn du freiwillig gingest und dir der Ehre bewusst wärst, dass du der Königinmutter dienen darfst«, erwiderte er.
Madeleine starrte voller Ohnmacht auf die Tischplatte. Sie musste an Nicolas denken, daran, wie sehr sie sich danach sehnte, ihn wiederzusehen. Nur zu gerne wäre sie zu den Hugenotten zurückgegangen – aber nicht so. Nicht als Spitzel und Verräterin! Niemals würde sie das tun. Fieberhaft schossen die Gedanken durch ihren Kopf, während sie gleichzeitig versuchte, ruhig zu bleiben. Lebrun durfte auf keinen Fall ahnen, was in ihr vorging. Sie musste so tun, als würde sie sich ihrem Schicksal ergeben und bereit sein, für ihn und die Medici als Informantin zu arbeiten, beschloss sie. Das war ihre einzige Chance.
Doch es fiel Madeleine schwer. Als sie den Geheimdienstchef ansah, kostete es sie ihre gesamte
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