Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
was er meinte. »Ihr glaubt, dass jemand die Pläne der Hugenotten verraten hat? Jemand, der den Guise zuarbeitet?«
Lebrun antwortete, ohne zu zögern. »Wenn Ihr mich so fragt – ja! Seht Ihr, wir haben aus dem Umfeld der Guise von der drohenden Entführung des Königs erfahren und nur deshalb auch die Schweizer rufen lassen!«
Das Gesicht der Medici wirkte nachdenklich. »Also wieder der geheimnisvolle spanische Spion?«, fragte sie schließlich.
Der Geheimdienstchef nickte. »Ja, ohne Frage!«
Die Königinmutter trommelte ungnädig mit den Fingern auf die Tischplatte. »Weshalb waren unsere eigenen Spione eigentlich nicht über die Pläne der Hugenotten informiert? Wir bezahlen doch ein Vermögen für diese Informanten, oder?«, sagte sie spitz.
»Ja, aber es ist leider keinem von ihnen gelungen, dicht genug an Coligny und Condé heranzukommen. Die Hugenotten sind äußerst misstrauisch und vorsichtig«, versuchte er zu erklären.
Ungehalten fuhr die Medici zu ihm herum. »Ihr wollt damit sagen, dass die Spanier in einem fremden Land dazu fähig sind, wir aber nicht?« Ihre Stimme hatte eine gefährliche Schärfe angenommen. Doch sie wusste, dass er recht hatte. Es war mehr als schwierig, an die Hugenotten heranzukommen.
»Der spanische König hat schon immer Angst gehabt, dass die Protestanten in Frankreich zu viel Einfluss bekommen könnten«, erwiderte Lebrun. »Er hat wahrscheinlich schon vor Jahren dafür gesorgt, dass dieser Mann hier eingeschleust wurde, und so genug Zeit gehabt, ihn in den obersten Führungskreis eindringen zu lassen.«
Auf der Stirn der Königinmutter zeigte sich eine steile Zornesfalte. Für einen kurzen Moment offenbarte ihr Gesicht ihren ganzen Hass gegen Spanien. Dann jedoch hatte sich die Medici sofort wieder in der Gewalt.
»Wir sollten uns anstrengen, es den Spaniern gleichzutun«, befahl sie. »Und dieser Krieg muss beendet werden. Es liegt nicht in meinem Interesse, die Protestanten zu vernichten, um den Guise damit den Weg zum Thron zu ebnen«, fügte sie kalt hinzu.
»Ich bin ganz Eurer Meinung«, stimmte der Geheimdienstchef ihr zu. Er zögerte kurz, bevor er sie anblickte. »Wenn Ihr erlaubt, würde ich gerne noch einmal auf den ursprünglichen Punkt unseres Gesprächs zurückkommen. Ich habe eine Idee – wenn ich ehrlich bin, sogar schon seit längerer Zeit –, die ich Euch gerne unterbreiten würde.«
83
N achdenklich stieg Madeleine in Begleitung der Wache die Treppe hinunter. Sie war bei Lebrun gewesen. Der Geheimdienstchef hatte am Nachmittag verlangt, sie zu sehen, und ihr ohne eine Erklärung erneut unzählige Fragen zu den Hugenotten gestellt. Er hatte wissen wollen, wie sich die einzelnen Männer ihr gegenüber verhalten hätten und wie ihr Umgang mit ihnen gewesen sei. Der Ton des Geheimdienstchefs hatte sich dabei verändert. Er hatte streng und autoritär geklungen, und Madeleine war erneut bewusst geworden, wie sehr sich ihre Position am Hof verändert hatte, seitdem sie nicht in der Lage gewesen war, für die Medici in die Zukunft zu blicken.
Zunehmend widerwillig hatte sie seine Fragen beantwortet.
»Es scheint mir, dass es dir ein wenig an Dankbarkeit mangelt, angesichts der Tatsache, dass du froh sein kannst, noch am Leben zu sein!«, hatte der Geheimdienstchef schließlich mit bedrohlicher Kälte zu ihr gesagt.
»Das stimmt nicht. Ich bin dankbar«, erwiderte sie.
Lebrun fixierte sie. »Wirklich? Das freut mich zu hören, denn wie es aussieht, wirst du schon bald Gelegenheit bekommen, das unter Beweis zu stellen!«
Während sie jetzt neben der Wache den Flur entlanglief, fragte sich Madeleine erneut, was er damit gemeint hatte.
Sie hasste dieses Gefühl des Ausgeliefertseins, diese Ungewissheit, was mit ihr geschehen würde. Sie hätte fliehen sollen, schon vor Tagen. Aber angesichts des Krieges, der inzwischen von Paris aus das ganze Land erfasst hatte, fehlte ihr der Mut. Doch nun fragte sie sich, ob das nicht ein Fehler gewesen war. Sie musste plötzlich daran denken, wie Margot gestern unerwartet auf der Schwelle ihres Gemachs gestanden hatte. Wer war wohl der junge Mann gewesen, der sich in ihrer Begleitung befunden hatte? Sie hatte sein Gesicht nicht mehr erkennen können, aber umso eindringlicher hatte sich dafür der Blick der Prinzessin in ihr Gedächtnis gebrannt. Etwas wie Bestürzung und Verletztheit hatte in ihren Augen gelegen, bevor sie dem Unbekannten hinterhergelaufen war. Madeleine wusste selbst nicht, warum diese
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