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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Reaktion abzuwarten, verließ sie das Zelt.

122
    S ie waren mit acht Mann und zwei Spähern unterwegs. Im gestreckten Galopp jagten sie vorbei an Feldern und Wäldern und über Bäche hinweg und hielten kaum eine Rast. Das unerbittlich schnelle Tempo brachte Madeleine an den Rand ihrer körperlichen Kraft, und sie ahnte mit einem Mal, wie viel Rücksicht Nicolas auf der Hinreise auf sie genommen haben musste.
    Auch jetzt warf er gelegentlich einen prüfenden Blick zu ihr – durchdringend, wie er auch seine Männer musterte –, und obwohl jeder Muskel von ihr schmerzte, bemühte sich Madeleine, sich ihre Anstrengung nicht anmerken zu lassen. Mehrmals konnten die Späher sie gerade noch vor feindlichen Truppen warnen. Soldaten des Herzogs d’Aumale waren weiter auf dem Weg gen Westen, und sie mussten daher kurzfristig immer wieder ihre Strecke ändern.
    Die Stimmung der Männer war angespannt und düster. Der Schock über den Tod des Prinzen de Condé stand ihnen allen ins Gesicht geschrieben. Es war nicht allein die schreckliche Tatsache, dass sie einen ihrer bedeutendsten Anführer verloren hatten, sondern vor allem der Umstand seines Todes, der ihren Hass auf die Katholiken aufs Unermesslichste schürte. Condé war in der Schlacht bei einem Zweikampf vom Pferd gestürzt und hatte sich das Bein gebrochen. Als er sich daraufhin ergeben wollte, hatte ein Leutnant, der zu den Garden von Henri d’Anjou, dem Bruder des Königs, gehörte, unehrenhaft einen Schuss auf seinen Kopf abgefeuert. Condé war sofort tot gewesen. Dem nicht genug, hatte man ihn – einen Prinzen von Geblüt, in dessen Adern das Blut von Louis dem Heiligen floss – anschließend auf einer Eselin, die Arme und Beine nach unten hängend, ins nahe gelegene Jarnac gebracht.
    Voller Entsetzen hörte Madeleine diese Einzelheiten, als die Männer spätabends am Lager darüber sprachen. »Wer wird die Nachfolge des Prinzen übernehmen?«, fragte sie.
    Nicolas wandte den Kopf zu ihr. Erst glaubte sie, er würde ihre Frage ignorieren, doch dann antwortete er schließlich. »Henri de Navarre und der Sohn des Prinzen de Condé. Doch angesichts ihres jugendlichen Alters und geringen militärischen Erfahrung wird die Verantwortung vorerst weiter allein beim Admiral liegen«, erwiderte er knapp.
    Henri de Navarre … Trotz der unerträglichen Situation, in der sie sich befand, glitt die Andeutung eines leichten Lächelns über Madeleines Gesicht, als sie den Namen hörte. Sie hatte viel falsch gemacht, doch den Jungen damals am Überqueren der Brücke zu hindern war vermutlich eine der wenigen richtigen und guten Entscheidungen gewesen. Sie schaute nachdenklich ins Feuer, als sie bemerkte, dass Nicolas noch immer den Kopf zu ihr gewandt hatte.
    Später, als die Männer sich niedergelegt hatten, kam er zu ihr. Er gab ihr mit kühler Miene ein Zeichen, ihm zu folgen. Zwischen einer Baumgruppe, weit genug entfernt, dass die anderen sie nicht hören konnten, drehte er sich zu ihr. »Woher wusste Lebrun, dass wir ein Verhältnis haben? Von dir? War das deine Aufgabe?« Er sprach ruhig, doch die Verachtung in seiner Stimme traf sie erneut wie ein Schlag.
    »Du tust mir unrecht«, sagte sie schließlich und ließ sich mit müder Resignation auf einen Baumstumpf sinken. Es schien ihr unmöglich, sich aus dem Netz von Lügen und Unwahrheiten zu befreien, das sie selbst aufgebaut hatte. »Ich habe anfänglich nicht die gewünschten Informationen geliefert«, versuchte sie Nicolas dennoch zu erklären. »Lebrun ahnte, dass es etwas gibt, das mich daran hindert – etwas, das stärker war als meine Angst vor ihm. Ich hatte den Fehler gemacht, über dich fast nie etwas zu erzählen und zu schreiben«, sagte sie bitter. »Das hat ihn stutzig gemacht …« Und dann begann sie mit leiser Stimme, ihm alles zu erzählen. Von ihrer Flucht, der Folterung durch die Guise, wie sie von der Medici befreit wurde und man sie gepflegt hatte, wie die Königinmutter und der Geheimdienstchef erst ihre Gabe und schließlich das Vertrauen, das sie bei den Hugenotten genoss, für ihre eigenen Zwecke missbrauchen wollten und wie man sie letztendlich deshalb bedroht und unter Druck setzte. Sogar von dem Protokoll über ihre Großmutter Ava berichtete sie ihm und davon, wie sie nach ihrer Rückkehr versucht hatte, so wenig Informationen wie möglich zu verraten. Sie merkte, wie es ihr guttat, das alles auszusprechen.
    Nicolas, der ihr gegenüber an einem Baumstamm lehnte, schwieg. Nur von Zeit

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