Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
Hugenotten?«
Sie nickte.
»Und Sonne?«
»Für die Königinmutter«, erklärte sie tonlos.
Er fragte weiter, streng und kalt wie in einem Verhör, und sie gab ihm tonlos Wort für Wort Antwort. Schließlich las er den Brief noch einmal durch. »Das ergibt keinen Sinn. Du schreibst, dass die Kraniche über die Champagne nach Westen ziehen werden. Aber wir planen, die Bourgogne zu durchqueren!«
Madeleine starrte auf ihre Hände. »Ich wollte euch nicht verraten. Ich weiß, was es bedeutet hätte, wenn diese Information in die Hände der Medici gekommen wäre«, sagte sie leise.
Er schenkte ihr nur einen verächtlichen Blick.
»Hattest du etwas mit der Explosion des Waffenlagers zu tun?«, fragte er dann. Die Kälte, die in seiner Stimme lag, war furchterregend.
Sie schüttelte ohnmächtig den Kopf. »Nein!«
»Und der Anschlag damals im Wirtshaus auf Coligny – haben Lebrun und die Medici das geplant, um dich bei uns einzuschleusen?«
Madeleine blickte ihn ungläubig an, als sie verstand, was er damit fragen wollte. Trotz aller Schuld, die sie empfand, spürte sie, wie plötzlich die Wut in ihr hochstieg. Sie hatte keine Wahl gehabt. Er gab ihr nicht einmal die Möglichkeit, sich zu verteidigen.
»Du denkst, ich hätte das gespielt?«, erwiderte sie aufgelöst. »Das glaubst du, Nicolas? Sieh mich an! Ich wäre in dem Wirtshaus fast von einer Kugel getroffen worden, wenn du mich nicht mit dir zu Boden gerissen hättest. Mein Rücken ist vernarbt von den Peitschenhieben des Herzogs d’Aumale, und vor ein paar Wochen hat man mich sogar in Zweibrücken versucht umzubringen!«, fuhr sie ihn an. »Glaubst du wirklich, das ist alles gespielt?«
Einen kurzen Moment lang schienen ihn ihre Worte zu verunsichern, doch dann lächelte er kalt. »Du bist gut, wirklich gut. Kein Wunder, dass man dich für diese Aufgabe ausgesucht hat!«
Sie war fassungslos. »Nicolas, es war nicht alles gelogen, das musst du mir glauben. Bitte, gib mir wenigstens die Chance, es zu erklären. Das ist das Einzige, worum ich dich bitte!«
»Warum? Es würde nichts ändern. Es war ein Fehler, dir überhaupt jemals irgendetwas zu glauben«, sagte er bitter.
Sie weinte.
Er wandte sich ab, doch dann drehte er sich noch einmal zu ihr. »Ich hätte mein Leben für dich gegeben, Madeleine. Wie konnte ich nur so dumm sein, dir jemals zu vertrauen?« Sie lief ihm zur Tür hinterher. »Nicolas, bitte höre mir zu! Es stimmt nicht, was du denkst.« Verzweifelt griff sie ihn am Arm, doch er stieß sie zurück. »Fass mich nicht an. Nie wieder«, sagte er ausdruckslos. »Wenn du ein Mann wärst, ich würde dich töten.«
Sie wich entsetzt vor seinen Worten vor ihm zurück und sah ihm nach, wie er das Zimmer verließ. Nur kurz darauf konnte sie hören, wie ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde, und sie begriff, dass sie nun seine Gefangene war.
120
E r stellte ihr zwei Wachen zur Seite. »Offiziell wird es heißen, sie sind für deine Sicherheit da. Ich denke, es liegt in deinem eige nen Interesse, dass niemand erfährt, was du getan hast«, sagte er, als er sie am Morgen vor ihrem Aufbruch aufsuchte. Die Kälte, die ihr aus seinen Augen entgegenschlug, traf sie erneut wie ein Schlag. Sein Gesicht wirkte fahl, und sie begriff, dass er genau wie sie in dieser Nacht nicht geschlafen hatte.
Madeleine nickte stumm. Sie fragte sich, was er mit ihr vorhatte und tun würde. Aus seiner Sicht verdiente eine Verräterin wie sie sicherlich keine Gnade. Wenn du ein Mann wärst, ich würde dich töten. Fast wünschte Madeleine, er täte es – es hatte ohnehin alles keine Bedeutung mehr für sie. Eine gefühllose Leere hatte sich seit dem gestrigen Abend in ihr ausgebreitet. Es war ihre eigene Schuld. Sie hätte ihm die Wahrheit sagen müssen. Dadurch, dass sie es nicht getan hatte, hatte sie nun alles in ihrem Leben zerstört, was ihr jemals etwas bedeutet hatte.
Nicolas stand noch immer in der Tür. »Es wird dich sicherlich freuen zu hören, dass deinem Komplizen die Flucht gelungen ist. Von Doktor Bruno oder wie auch immer er heißen mag, fehlt jede Spur!«, sagte er beißend.
Die Worte rissen sie kurz aus ihrem betäubten Zustand. »Er ist nicht mein Komplize«, erwiderte sie scharf. »Außerdem ist er nicht der Einzige. Der Geheimdienst hat zig Leute bei euch eingeschleust! Das solltest du wissen«, sagte sie mit ruhiger Stimme.
Er blickte sie an. »Tatsächlich? Dann nenne sie mir!«
Sie hob den Kopf. »Ich kann dir nur noch einen Namen
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