Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
Kugel entfernt werden. Aber das ist weniger schlimm.«
Der Admiral, der noch immer unter Schock stand, nickte blass. »Nun, wenn schon von einem, dann von Euch, Monsieur Paré!«
In diesem Moment stürmte die schmale Gestalt eines jungen Mädchens ins Gemach. »Vater!«, rief sie mit tränenerstickter Stimme. Es war Colignys Tochter Louise. Ihr entsetzter Aufschrei, als sie die Wunden erblickte, ließ die Männer plötzlich still werden. »Wer hat dir das angetan? … Wir hätten nie zu dieser Hochzeit kommen dürfen«, stieß sie schluchzend hervor.
»Louise!«, sagte der Admiral matt. Etwas Mahnendes lag in seiner Stimme, doch in seinen Augen war zum ersten Mal auch etwas zu erkennen, das Madeleine nie zuvor bei diesem Mann gesehen hatte – Angst.
Paré hieß die Leute das Gemach zu verlassen. Nur Madeleine, Nicolas und Clément, die den Verletzten bei der Amputation würden halten müssen, blieben. Es war schrecklich, Coligny so zu sehen – der Admiral biss auf das harte Stück Leder, das man ihm gegeben hatte, während er sich, im unbeugsamen Griff von Nicolas und Clément gefangen, vor Schmerz aufbäumte.
Paré entfernte mit schnellen präzisen Handgriffen den oben aufliegenden zersplitterten Teil des Knochens und trennte dann den Rest des Fingers zusammen mit der Haut, den Sehnen und den Gefäßen, die er zuvor abgebunden hatte, ab. Alles Blut war aus Colignys Gesicht gewichen, und seine Stirn war schweißnass. Fast schien es, als würde er das Bewusstsein verlieren, doch er keuchte nur und murmelte kaum verständlich ein Gebet. Madeleine fuhr ihm mit einem kalten feuchten Tuch sanft über die Stirn.
»Gut«, sagte Paré, als er die Arbeit an dem Fingerstumpf beendet hatte, und wandte sich sogleich der anderen Wunde zu. Nachdem er den Arm in die gleiche Lage gebracht hatte, in der er sich während des Schusses befunden hatte, entfernte er die Kugel, die vom Handgelenk bis zum Ellbogen vorgedrungen war.
Er trug eine Tinktur auf, verband die Wunde und notierte dann einige Substanzen für die Mischung eines Medikaments, das Madeleine aus der Apotheke holen sollte. »Das wird ihm die schlimmsten Schmerzen nehmen«, sagte er.
Sie nickte und lief schnell los. Draußen vor dem Palais hatten sich inzwischen besorgte Hugenotten angesammelt, die von dem Attentat gehört hatten. Aufgebrachte Wortwechsel, die denen im Gemach des Verletzten ähnelten, waren zu hören.
Madeleine fragte sich plötzlich, was geschehen wäre, wenn der Admiral getötet worden wäre. Das nervöse Gefühl, das sich ihrer seit der Vision bemächtigt hatte, wollte nicht weichen. Wer hatte diesen Anschlag auf Coligny verübt? Die Guise? Sie dachte daran, was einer der Edelleute gesagt hatte: Ohne die Zustimmung des Königs hätten sie es nicht gewagt. Madeleine hatte plötzlich Angst. Sie fühlte sich in dieser Stadt wie in eine Falle geraten.
Eilig besorgte sie die Substanzen für das Medikament in der Apotheke. Überall standen Gruppen von Protestanten zusammen, die in ihrer schlichten dunklen Kleidung deutlich im Straßenbild hervorstachen. Misstrauisch wurden sie von den Katholiken beobachtet. Als Madeleine auf dem Rückweg wieder in die Rue de Béthisy einbog, säumten Trauben von Menschen die Straße. Aufgeregt reckten sie alle die Köpfe.
Sie drängte sich mit den Besorgungen zwischen den Leuten durch und sah, dass eine Eskorte königlicher Leibgarden samt Dienern, Pagen, Pferden und mehreren Sänften im Hof stand. Der König persönlich war aus dem Louvre gekommen, um nach dem Verletzten zu sehen. Und nicht nur er, sondern auch die Königinmutter und Henri de Navarre mit seiner Gemahlin Margot. Zum ersten Mal seit dem Anschlag verspürte Madeleine einen Anflug von Erleichterung.
Charles war empört – außer sich über das, was geschehen war. Seine laute Stimme drang durch die geschlossenen Flügeltüren von Colignys Gemach bis in den Flur hinaus. Er versprach dem Admiral Gerechtigkeit und Schutz.
Man hatte inzwischen herausbekommen, dass das Haus, von dem aus geschossen worden war, von einem gewissen Monsieur de Villemur gemietet war – einem Priester, der nicht nur ein ehemaliger Hauslehrer von Henri de Guise war, sondern auch als Schutzbefohlener des Kardinals de Lorraine galt. Es schien eindeutig, wer hinter diesem Anschlag zu stecken schien. Der König erklärte, dass er bereits Befehl erteilt habe, dass die Guise am nächsten Vormittag vor ihm zu erscheinen hätten, um zu dem Vorfall Stellung zu beziehen.
»Seine
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