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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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ebenfalls entdeckt. »Eine katholische Klosterschülerin, wie entzückend«, sagte er mit süßlichem Zynismus. Das Mädchen, fast schon eine junge Frau, schien ihre Blicke zu spüren und sah zu ihnen herüber. Ronsard schenkte ihr ein anzügliches Lächeln. Vardes erinnerte sich jetzt wieder, woher er sie kannte. Sie war damals im Wirtshaus gewesen und hatte nach der Magd gefragt. Wie bei ihrer ersten Begegnung fiel ihm auf, dass sie seltsam verkleidet wirkte in ihrem schlichten Kleid und der Haube, unter der einige Strähnen ihrer kastanienbraunen Haare hervorschauten. Er schätzte sie auf achtzehn oder neunzehn. Sie war stehen geblieben und blickte Ronsard irritiert an, der in einer übertriebenen Geste den Kopf neigte und sie noch immer anlächelte. Vermutlich würde es ihm ein besonderes Vergnügen bereiten, sie in Verlegenheit zu bringen, dachte Vardes. Es war ihm unbegreiflich, dass Ronsard so viel Gefallen an diesem Spiel fand. Aus Erfahrung wusste er, was nun folgen würde: Die Wangen der Klosterschülerin – die wie die meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen wahrscheinlich nicht unempfänglich für Ronsards Avancen war – würden sich gleich dunkelrot färben, und er würde es sich nicht nehmen lassen, sie auch noch anzusprechen. Daraufhin würde sie entweder keinen Ton hervorbringen oder aber ein albernes Kichern hervorstoßen. Seine Lippen kräuselten sich verächtlich.
    Das Mädchen starrte Ronsard noch immer an. Vardes wollte seinen Kopf abwenden, um die unsägliche Szene nicht länger zu beobachten, doch etwas hinderte ihn daran. Es war ihr Blick – sie wirkte weder verlegen noch in ihrer Eitelkeit geschmeichelt, erkannte er überrascht. Im Gegenteil, in ihren Augen lag ein abwehrender Ausdruck, als sträubte sie sich gegen etwas. Vardes spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. Ihr Gesicht war plötzlich aschfahl geworden, und ein zunehmendes Entsetzen spiegelte sich darin. Halt suchend stützte sie sich an dem Mauerwerk des Hauses ab. Obwohl sie noch immer zu Ronsard schaute, schien sie durch ihn hindurchzusehen. Sie wankte, und es wirkte fast, als würde sie die Besinnung verlieren. Einige Momente vergingen so, dann schien sie sich jedoch mit einem Mal wieder zu fangen. Aufgelöst lief sie auf die beiden Männer zu.
    »Ihr müsst hier weg. Sie werden Euch alle töten!«
    Die Panik in ihrer Stimme ließ Vardes das Blut in den Adern gefrieren. Er kannte die Angst in den Gesichtern von Menschen. Im Krieg hatte er sie öfter gesehen, als ihm lieb gewesen war, aber bei ihr entdeckte er noch etwas anderes, das darüber hinausging – eine tiefe Verzweiflung.
    »Glaubt mir! Der Mann, mit dem Ihr hier seid – sie werden ihn und alle anderen töten.«
    Vardes war plötzlich hellwach. Er packte sie am Arm. »Wer?«, fragte er.
    »Reiter. Sie sind maskiert. Es sind viele«, stieß sie gehetzt hervor.
    »Woher weißt du das?«, fuhr Ronsard sie an.
    Sie blickte die beiden Männer an und begriff, dass sie ihr nicht glaubten. Statt einer Antwort riss sie sich los und stürzte weiter ins Wirtshaus.
    Vardes zögerte nur einen Augenblick, dann rannte er ihr hinterher. Noch im Laufen konnte er den entfernten Hufschlag von Pferden hören. Er drehte sich um und erstarrte. An der Biegung der Straße war eine Gruppe Reiter in schwarzen Umhängen zu erkennen, die direkt auf sie zugaloppierten.
    »Verdammt!«, fluchte er und setzte der Gestalt des Mädchens ins Wirtshaus hinterher.
    Sie war in der Mitte des Raums stehen geblieben und sah sich mit fiebrigen Augen um. Nur an dreien der Tische saßen Gäste, und sie wandte sich zielsicher Admiral de Coligny und Prinz de Condé zu, die mit ihren Begleitern ganz hinten saßen.
    »Ihr müsst hier weg! Man will Euch töten«, schrie sie.
    Vardes lief zum zweiten Mal an diesem Tag ein Schauer über den Rücken. Woher zum Teufel wusste eine katholische Klosterschülerin, wer diese beiden Männer waren?
    Die Gäste waren überrascht zu ihr herumgefahren, und der Wirt schaute das Mädchen ungläubig an.
    »Sie hat recht! Man hat uns verraten, Admiral«, stieß Vardes hervor.
    Man konnte Hufgetrappel vor dem Wirtshaus hören, Reiter sprangen von den Pferden.
    Die vier Männer waren von ihren Stühlen hochgesprungen.
    In diesem Augenblick wurde auch schon die Tür des Wirtshauses aufgestoßen.
    »Lauft!«, schrie Vardes Coligny und Condé zu, die mit einem Satz bei der Hintertür waren, während Lescot und Clément neben ihm und Ronsard Stellung bezogen.
    Vardes wirbelte um seine

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