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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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immer noch zuerst an andere dachte.
    »Natürlich! Ich werde mich gleich auf den Weg machen«, versprach sie.

20
    D ie Unruhe, die ihn bereits am frühen Morgen ergriffen hatte und den ganzen Tag nicht hatte weichen wollen, war auf sein Pferd übergesprungen. Er konnte spüren, wie der Hengst sich unter ihm nervös bewegte. Nicolas de Vardes klopfte ihm besänftigend auf den Hals. Er konnte selbst nicht erklären, was los war. Gewöhnlich war er die Kaltblütigkeit in Person. Die Gefahr, mit der er täglich lebte, war längst ein Bestandteil seines Lebens geworden, etwas, das ihn schon lange nicht mehr aus der Ruhe zu bringen vermochte. Doch heute fühlte er eine seltsame Anspannung. Er wünschte, der Admiral hätte sich nicht für diese Strecke entschieden.
    Er ließ seinen Blick prüfend die staubige Straße entlangschweifen, die durch das Dorf führte. Es war Markttag, und zwischen den vielen Bauern und Händlern, die heute hier unterwegs waren, fiel ihre kleine Truppe kaum auf. Coligny und der Prinz de Condé waren mit Lescot und Clément bereits im Wirtshaus.
    Es gab keinen Grund für seine Besorgnis, sagte er sich erneut. Nur eine Handvoll Leute wusste überhaupt von dieser Reise. Er selbst war die Strecke abgeritten und hatte sämtliche Wirtschaften und Herbergen kontrolliert, in denen sie Rast machen würden. Alles würde genau nach Plan laufen.
    Er nahm einen Schatten neben sich wahr.
    »Täusche ich mich, oder wirkt Ihr tatsächlich nervös?«, fragte Philippe de Ronsard, der ihn begleitet hatte und sein Pferd nun neben ihm zum Stehen brachte. In seinen Augen stand Überraschung zu lesen.
    Nicolas de Vardes zuckte die Achseln. »Nur vorsichtig«, erwiderte er. Seine Hand strich geistesabwesend über die helle Narbe auf seiner Wange. »Der Landstrich hier liegt mir entschieden zu nah am Einzugsgebiet unserer lieben Freunde«, erklärte er mit Sarkasmus in der Stimme. Er hatte den Kopf zu Ronsard gewandt, der glatt lächelte. Die beiden Männer waren keine Freunde, aber sie respektierten sich. Dabei hätten sie unterschiedlicher nicht sein können, dachte Vardes. Ronsard, der ursprünglich aus der Provence kam, war der geborene Edelmann, musste er zugeben. Attraktiv, mit ebenmäßigen Gesichtszügen, die bei den meisten Frauen nicht ihre Wirkung verfehlten, besaß er ein angeborenes höfisches Auftreten, das er selbst jetzt in der Kleidung einfacher Landleute, die sie zu ihrer Tarnung trugen, kaum verbergen konnte. Er war bereits vor etlichen Jahren aus Überzeugung zum Protestantismus konvertiert und hatte sich ganz in den Dienst des Admirals de Coligny und des Prinzen de Condé gestellt, die ihn überaus schätzten. Letzterer, so mutmaßte Vardes, allerdings wohl vor allem, weil er seine Leidenschaft für schöne Frauen teilte.
    Er selbst dagegen wirkte mit seinen markanten Zügen und der Narbe auf die meisten Menschen eher einschüchternd, dessen war er sich bewusst. Es störte ihn nicht. Er war ein Einzelgänger. Seine Familie stammte aus Paris, doch er hatte lange Jahre in Italien im Krieg gekämpft und besaß vielfältige Beziehungen in die deutschen Fürstenstaaten und die spanischen Niederlande, die für die Hugenotten von großer Bedeutung waren. Was den Protestantismus anging, war Vardes ihm weniger aus Überzeugung als aus kalkuliertem politischen Interesse zugetan. Es war die Konfession, die, wie er fand, am besten gewährte, dass der Adel seine Eigenständigkeit und Macht gegenüber dem König behielt und außerdem eine Einmischung des Papstes in innere Angelegenheiten ein für alle Mal unterbinden würde.
    »Eure Sorge ist unbegründet«, sagte Ronsard zu ihm. »Niemand kann von der Reise des Admirals wissen.«
    »Ihr habt recht.« Er zuckte die Achseln. »Vermutlich bin ich nur mit dem falschen Fuß aufgestanden«, erwiderte er.
    Er war froh, dass Ronsard bei diesem Ausflug des Admirals dabei war. Sein gutes Aussehen täuschte darüber hinweg, dass er ein hervorragender Kämpfer war.
    Die beiden Männer hatten das L’Auberge erreicht und führten ihre Pferde nach hinten auf den Hof. Auch die Tiere der anderen waren dort festgemacht, um vor dem Wirtshaus keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Als sie zurückkamen, beobachtete Vardes noch einmal genau die Straße. Hinter einem Händler, der einen Karren mit Obst hinter sich herzog, lief die schmale Gestalt eines jungen Mädchens im grauen Gewand, die auf das Wirtshaus zukam. Er stutzte – sie kam ihm bekannt vor.
    Ronsard hatte sie

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