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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Entsetzen versetzte. Das Schnauben des Pferdes ließ keinen Zweifel an seinem nervösen Temperament.
    »Gibt es nicht vielleicht ein ruhigeres Pferd?«, fragte sie vorsichtig. »Ich … ich bin keine besonders gute Reiterin!«
    Vardes, der mit Guillaume gesprochen hatte, drehte sich zu ihr und sah sie verwundert an. »Nein«, sagte er dann ungerührt. »Und du wirst dankbar für ihn sein, wenn es wider Erwarten doch zu irgendeinem Zwischenfall kommt. Apollo ist auf Schnelligkeit und Wendigkeit dressiert. Er scheut es weder zu springen noch geradewegs durchs Dickicht zu reiten.«
    Madeleine blickte ihn an. Allein bei dem Gedanken, dass tatsächlich eines dieser Manöver notwendig sein könnte, ergriff sie ein Anflug von Übelkeit. Sie nickte stumm und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie den Ritt überleben würde, als sie den Fuß in den Steigbügel setzte und aufsaß.
    Vardes, der sich ebenfalls auf sein Pferd schwang, beobachtete sie eingehend. Madeleine bemühte sich, eine gleichmütige Miene aufzusetzen. Das war jedoch leichter gedacht als getan, denn sie konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass der Rappe nur darauf brannte, ihr ein Beispiel seiner Leistungsfähigkeit zu geben. Sie war sich sicher, dass das Tier ihre Angst spürte und nur ein Rest von Gutmütigkeit es daran hinderte, nicht sofort loszupreschen.
    Als sich die Truppe schließlich in Bewegung setzte, bemerkte Madeleine, dass der Boden beängstigend weit von ihren Füßen entfernt war, und sie fürchtete sich. Das Gefühl war nicht vergleichbar mit ihrer Angst vor den Guise und der ständigen Panik, eine ihrer Visionen könnte sie erneut heimsuchen, es war greifbarer und dennoch nicht weniger schrecklich. Ihr Herz klopfte, die Muskulatur ihres gesamten Körpers verkrampfte sich, und ihre Hände, die die Zügel so fest hielten, dass das Leder schmerzhaft in die Haut schnitt, waren feucht. Dennoch hätte sie um nichts in der Welt zugegeben, was mit ihr los war. Madeleine versuchte, ruhig durchzuatmen. Reiß dich zusammen , ermahnte sie sich innerlich. Sie empfand ihre eigene Angst als demütigend. Nach allem, was ihr widerfahren war, fürchtete sie sich tatsächlich schlichtweg, auf einem Pferd zu sitzen!
    Sie nahm einen Schatten neben sich wahr und erkannte, dass Vardes seinen Wallach etwas zurückgehalten hatte und mit einem Mal neben ihr ritt. »Du solltest dich etwas entspannen«, hörte sie seine raue Stimme neben sich.
    Sie drehte den Kopf zu ihm. Seine graugrünen Augen ruhten in der ihm eigenen durchdringenden Art auf ihr.
    Madeleine nickte, obwohl sie sich nicht einmal ansatzweise dazu in der Lage sah. Sie konnte nicht begreifen, wie man sich auf dem Rücken eines Pferdes überhaupt jemals entspannen sollte.
    Plötzlich lehnte sich Vardes zu ihr herüber. Er hatte seinen Arm ausgestreckt, und seine Hand berührte ihre Finger. »Die Zügel, lass sie ein wenig lockerer«, sagte er und entzog sie ihr etwas. Sie konnte durch seinen Handschuh die Wärme seiner Haut fühlen, und die Intimität dieser Berührung machte sie unerwartet verlegen.
    Ohne besondere Eile zog er seine Hand zurück, und sie wandte den Kopf ab, weil sie das ungute Gefühl hatte, dass eine leichte Röte in ihre Wangen schoss. Irgendetwas an ihm machte sie nervös. Vielleicht war es einfach die Tatsache, dass sie nicht begriff, was für ein Mann er wirklich war, dachte sie. Die Narben auf seiner Wange gaben ihm auf den ersten Blick etwas Finsteres und Bedrohliches – die meisten Menschen erschraken, wenn sie ihm begegneten. Er schien das zu wissen, und wie es aussah, störte es ihn nicht einmal sonderlich, denn er gab sich keine Mühe, diesen Eindruck in irgendeiner Weise zu mildern. Im Gegenteil, er verhielt sich meistens kühl und distanziert und war nicht darauf aus, den Leuten zu gefallen, dachte sie. Anders als Ronsard, der alle durch sein Auftreten und seinen Charme, und ganz besonders die Frauen, gekonnt einzunehmen versuchte. Trotzdem hatte Madeleine mitbekommen, dass die Menschen Nicolas de Vardes schätzten und man ihm großen Respekt entgegenbrachte. Was hatte Madame Maineville bei der Abreise zu ihr gesagt? Ich bin froh, dass du mit Monsieur de Vardes reist – bei ihm weiß ich dich in den besten Händen und kann sicher sein, dass du heil in Châtillon ankommen wirst! Sie hatte die Haushälterin erstaunt angesehen und erinnerte sich mit einem Mal daran, wie sie vorhin beobachtet hatte, wie Vardes vor den Ställen mit Guillaume gesprochen hatte. Dem

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