Das Maedchen mit den Schmetterlingen
richtige Zeitpunkt war, sich zu entschuldigen und zu versuchen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Dieses Mal würde es schwieriger werden als sonst, sich wieder bei ihr einzuschmeicheln, so viel war klar.
»Kate, es tut mir leid … ich …«
»Hör auf, Seán, hör bloß auf! Deine Entschuldigungen sind mir mittlerweile völlig gleichgültig. Und deine Versprechungen noch viel mehr. Du bist ein Säufer, Seán, und es ist klar, dass weder ich noch Tess noch Ben uns auch nur ansatzweise auf dich verlassen können.«
»Kate, nein … bitte … ich will…«
»Du willst was? Du willst dich ändern? Nochmal von vorne anfangen? Ist es das, Seán? Das habe ich nun schon tausendmal gehört, und weißt du was, Seán? Das glaubst du doch selber nicht! Wenn die Kinder nicht wären, ich würde auf der Stelle meine Koffer packen und zur Not irgendwo in Dublin
putzen gehen, wenn es sein müsste. Dann könnte ich mich wenigstens abends friedlich ins Bett legen. Nein, Seán, deine Entschuldigungen kannst du dir sparen. Die haben in diesem Haus keinerlei Bedeutung mehr. Von jetzt an machst du genau das, was ich sage. Du gibst mir die Autoschlüssel, weil du nämlich ohne mich nirgendwo mehr hingehst. Wenn du dazu in der Lage bist, kannst du auf dem Hof arbeiten, aber die Zeiten, wo du mir sagst, was ich zu tun und zu lassen habe, wo du mich oder Tess anbrüllst und beleidigst, diese Zeiten sind vorbei!«
Seán starrte sie fassungslos an. Er hatte seine Schwester schon öfter wütend erlebt, aber das hier war irgendwie anders als sonst. Sie schien, nun ja, keine Angst mehr vor ihm zu haben. Eine ganze Weile starrte er sie wortlos an, bis sie anfing, mit dem Geschirr in der Spüle zu klappern, was ihm Kopfschmerzen verursachte. Langsam erhob er sich, überlegte kurz, ob er eine andere Taktik wählen sollte, besann sich aber. Draußen fuhr Dermot gerade mit dem Lieferwagen vor. Seán rieb sich sein schmerzendes Kinn und musste an den Fausthieb denken, mit dem ihn sein Knecht in Massey’s Pub niedergestreckt hatte.
Er legte sich wieder ins Bett, weil er nicht wusste, was er sonst mit sich anfangen sollte. Wenn er Kate doch begreiflich machen könnte, dass die Schmerzen in seiner verletzten Hand so schlimm gewesen waren, dass er keine Minute länger mehr in der Praxis hatte warten können.
Er hatte wirklich nicht vorgehabt zu trinken und wusste immer noch nicht, wann ihm die Idee überhaupt gekommen war. Er war einfach aufgestanden, hatte einfach einen Fuß vor den anderen gesetzt, bis zu einem Pub, den er nur selten aufsuchte. Er hatte einen großen Whiskey bestellt, den ersten seit seiner Einlieferung ins Krankenhaus, also seit über fünf
Wochen. Innerhalb weniger Minuten hatten die Schmerzen in seiner Hand nachgelassen, weil sie aber noch nicht ganz verschwunden waren, hatte er einen zweiten Doppelten bestellt und ihn genauso schnell hinuntergestürzt wie den ersten. Ihm war ein bisschen schwindelig geworden und er hatte sich gewundert, dass der Alkohol so schnell Wirkung zeigte. Früher konnte er fünf oder sechs große Gläser kippen, bevor er überhaupt etwas merkte. Gerade, als das dritte Glas vor ihm auf der Theke stand, das letzte, für den Heimweg, da war Dermot aufgetaucht und hatte Streit angefangen. Es ging ihn doch überhaupt nichts an, was Seán machte. Warum hatte Kate ihn überhaupt zu Hilfe geholt?
Der Gedanke, dass Dermot ein Auge auf Kate geworfen haben könnte, kam ihm nicht zum ersten Mal und versetzte ihn in größte Sorge. Er saß fest, hier in diesem Haus, mit Kate. Er brauchte sie, sie musste ihn versorgen. Wenn die Ärzte Recht behielten, würde er nie wieder richtig zu Kräften kommen, würde immer auf Hilfe angewiesen bleiben. Wenn er wieder anfing zu trinken, so wie vor seiner Einlieferung, dann war er innerhalb weniger Monate ein toter Mann. Tolle Auswahl, dachte Seán. Er hörte, wie Kate und Dermot sich in der Küche unterhielten. Obwohl er angestrengt lauschte, waren die einzelnen Worte nicht zu verstehen. Er wäre gerne aufgestanden, um an der Tür zu horchen, aber andererseits war es hier im Bett so warm und gemütlich, und so blieb er liegen. Im Handumdrehen war er eingeschlummert und träumte selig seine Träume, die niemals wahr werden würden.
Seit über zwanzig Minuten wartete Tess regungslos im Flur und ließ die Haustür nicht aus den Augen. Kate wusste, dass sie Tess in diesem Zustand nicht ansprechen durfte, und beschäftigte sich mit Ben, der bald vom Schulbus abgeholt
Weitere Kostenlose Bücher