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Das Maedchen mit den Schmetterlingen

Titel: Das Maedchen mit den Schmetterlingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Coffey
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werden
sollte. Es war der Tag von Tess’ zweitem Versuch in der Galerie für Kunst und Kunsthandwerk. Deirdre O’Connell hatte sich zweimal mit dem Geschäftsführer getroffen, um die Wogen zu glätten und dem Personal zu erklären, wie sie sich Tess gegenüber verhalten sollten. Plötzliche Veränderungen im alltäglichen Ablauf lösten bei Tess enormen Stress aus, weshalb ihr Arbeitstag so geregelt wie möglich verlaufen sollte. Alle Veränderungen sollten ihr rechtzeitig angekündigt werden, damit sie genügend Zeit hatte, sich darauf einzustellen. Zudem erläuterte sie, dass Tess jedes Wort und jeden Satz wörtlich nahm, sodass man am besten keine Redewendungen oder Metaphern benutzte. Marcus Gill schien immer noch unschlüssig, ob er die merkwürdige junge Frau noch einmal einstellen sollte. Erst als die Gemeindeschwester ihn daran erinnerte, dass die Welt entschieden langweiliger wäre, wenn Menschen, die ein wenig aus dem Rahmen fielen, keine Chance bekamen, lenkte er ein. Deirdre O’Connell war nicht dumm und wusste, dass dieses Argument bei dem im Grunde genommen gutwilligen Geschäftsmann auf fruchtbaren Boden fallen würde.
    Bevor sie Tess nach Glenmire brachte, warf Kate noch einen kurzen Blick in Seáns Zimmer. Er schlief, und sie ließ die Zimmertür offen, falls er auf die Toilette musste. Ohne den Wagen konnte er in der Zeit ihrer Abwesenheit ja nicht allzu viel Unheil anrichten. Im Foyer der Galerie wartete Deirdre schon auf Tess. Kate winkte ihr zu und signalisierte, dass sie sich später telefonisch melden würde. Sie wollte mit ihr über Seán sprechen. Vielleicht war es ja möglich, ihn wieder ins Krankenhaus einzuweisen oder ihn früher als geplant in einer Suchtklinik unterzubringen. Ihr Bruder hatte endgültig den Boden unter den Füßen verloren, und obwohl ihre Gefühle für ihn erloschen waren, wusste sie, dass Seán,
wenn sie nichts unternahm, Weihnachten nicht mehr erleben würde.
     
    Als Kate aus Glenmire zurückkehrte, lag Seán nicht mehr in seinem Bett. Sie durchsuchte jedes Zimmer, aber er war nirgends zu entdecken. Als sie die Küche betrat, blieb sie mit offenem Mund stehen. Die Sherryflasche, die Dermot zu ihrem Rendezvous mitgebracht hatte, lag leer auf dem Küchenfußboden. Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Sie hatte die Flasche einfach in den Schrank gestellt, in der Hoffnung auf einen zweiten, ähnlichen Abend mit Dermot. Alle Schränke standen offen, Schubladen lagen ausgekippt auf dem Boden, Gabeln und Messer überall verstreut. Kraftlos ließ sich Kate auf einen Küchenstuhl sinken. Sie konnte nicht glauben, dass ihr Bruder so tief gesunken war, und sie wusste, dass sie nicht länger alleine mit ihm fertig wurde. Die alte Blechdose, in der Kate das Geld aufbewahrte, war ebenfalls umgedreht worden und die fünfzehn Pfund darin verschwunden. Sogar in der Mehlkiste hatte er gewühlt - was immer er dort gesucht haben mochte - und das Mehl im ganzen Raum verteilt. Schweigend betrachte Kate das Chaos, ließ die Szenerie in ihr Bewusstsein sinken. Sie war am Ende. Sie konnte Seán nicht länger helfen, und sie wollte auch nicht mehr. Sie überlegte, ob sie Dermot anrufen sollte, der, wie sie wusste, gerade dabei war, den Pub aufzuräumen. Dabei wurde ihr bewusst, dass die letzen Gespräche sich immer nur um Probleme gedreht hatten, um ihre Probleme. Wie sehnte sie sich danach, endlich wieder einmal ein normales Gespräch mit diesem Mann zu führen, den sie tief in ihr Herz geschlossen hatte.
    Sie trat in den Flur und rief Deirdre O’Connell an, die hoffentlich mittlerweile wieder in der Sozialstation war. Sie vereinbarten, dass Deirdre am Nachmittag vorbeikommen sollte.
Kate hoffte, dass Deirdre einen Krankenwagen auftreiben konnte, der Seán so schnell wie möglich wieder ins Krankenhaus schaffte. Sie wollte mit diesem unberechenbaren Menschen keine einzige Nacht mehr unter einem Dach verbringen. Als sie aufgelegt hatte, beherzigte sie Deirdres Rat und suchte draußen auf den Feldern nach Seán. Ohne Auto konnte er nicht weit gekommen sein. Zuerst suchte sie die Wiesen in der unmittelbaren Umgebung des Hauses ab, rief nach ihm und spürte, wie sie immer panischer wurde. Dann entdeckte sie ihn weit draußen, wo es zum See hinunterging. Es war die Wiese, auf der sie als Kinder immer gespielt hatten. Sie blieb ein Stück entfernt stehen und betrachtete ihn, als würde sie sich einen Film ansehen. Schließlich machte sie die letzten Schritte und kniete sich neben

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