Das Maedchen mit den Schmetterlingen
doch nur jemanden gesucht, der seine Mammy pflegt?«
Die beiden brachen in schallendes Gelächter aus. Deirdre hatte tatsächlich mit allerhand komischen Käuzen Bekanntschaft gemacht, und die beiden hatten sich schon oft bei einer Tasse Tee über ihre »Romanzen« lustig gemacht.
Als Deirdre sich auf den Weg machte, war Kate ein wenig neidisch auf ihre Freundin. Sie hätte auch gerne ein etwas aufregenderes und unabhängigeres Leben gehabt, aber jetzt, wo das Kind in ihrem Bauch heranwuchs, war ihr klar, dass in ihrem Leben immer nur die anderen im Mittelpunkt stehen würden und dass der Preis für diese Verantwortung die Unfreiheit war.
Kapitel 46
1981
K ate beschloss, den ersten Bus nach Dublin zu nehmen. Sie war noch nie alleine mit dem Auto in die Hauptstadt gefahren und befürchtete ohnehin, dass der alte Wagen, den Onkel Jimmy ihr geschenkt hatte, unterwegs den Geist aufgeben würde. Mittlerweile quoll schwarzer Rauch aus dem Auspuff, aber sie hatte kein Geld für eine Reparatur. Sie hätte natürlich ihren Onkel bitten können, ihre Schwangerschaft war aber mittlerweile nicht mehr zu übersehen. Auf dem Weg ins Dorf ließ sie sich immer noch unter einem Mantel verstecken, aber im Haus war das kaum möglich. Sie fragte sich, warum sie überhaupt noch ein Geheimnis daraus machte, früher oder später würde man sie ohnehin bemerken. »Wie die Mutter, so die Tochter«, würde es heißen.
Tess war froh, dass der Bus schon um kurz vor halb zehn in Dublin ankommen sollten. Ihr Termin in der Klinik war erst um elf, und Kate hatte ihr Tee und Scones bei Bowleys versprochen, bevor sie sich auf den Weg zu Dr. Cosgrove machen wollten. Hoffentlich stellte Dr. Cosgrove ihr keine Fragen nach dem See. In der vergangenen Nacht hatte sie davon geträumt, was seit ihrer Rückkehr nach Hause nicht mehr vorgekommen war. Der Termin beim Rechtsanwalt war am frühen Nachmittag, und Kate hoffte, dass die Angelegenheit schnell erledigt war, damit sie den Fünf-Uhr-Bus nach
Hause nehmen konnten. Sie hatte sich im Vorfeld erkundigt, ob sie den Rechtsanwalt an Ort und Stelle bezahlen musste, und mit Erleichterung die Versicherung der hochnäsigen Sekretärin vernommen, dass die Rechnung per Post zugestellt würde.
Dr. Cosgrove begrüßte sie herzlich und schien sich sehr über Tess’ Besuch zu freuen. Kate blieb im Wartezimmer, während Tess in sein Büro ging. Die beiden würden wohl eine Weile beschäftigt sein, und so beschloss sie, den Flur entlang zum Hauptgebäude zu schlendern. In den verschiedenen Räumen saßen kleine Gruppen von Kindern beim Unterricht, andere eilten mit gesenktem Kopf an der Hand einer Schwester vorrüber. Kate fand die Athmosphäre beklemmend. Sie musste an ihre beiden Anläufe denken, als sie es nur bis ins Foyer geschafft hatte. Beide Male war sie am Quai zurückgelaufen, hatte auf den letzten Bus nach Hause gewartet und sich gefragt, warum sie es nicht fertigbrachte, Tess zu besuchen. Schuldgefühle, weil sie nicht verhindert hatte, dass Tess von der Polizei abgeholt wurde? Wie merkwürdig das Mädchen sich auch benommen haben mochte, Kate glaubte nie und nimmer, dass sie ihren Vater umgebracht hatte. Aber was denn dann? Schließlich hatte man sie über seiner Leiche entdeckt.
Ein Schluchzen hallte durch den langen gekachelten Korridor. Kate folgte dem Geräusch und entdeckte ein kleines Mädchen, das vor einem holzvertäfelten Zimmer auf dem Boden kauerte. Es hatte langes, mattbraunes Haar und seine dunkelgrünen Augen waren verweint. Selbst den Tänen nahe, beugte Kate sich hinunter und trocknete dem Kind die Tränen.
»Was hast du?«, fragte sie leise.
Das Kind blickte verwundert auf. Kate bemerkte entsetzt
die langen Narben an den Armen. Wer, um alles in der Welt, konnte diesem Kind so etwas angetan haben?
»Ich will zu meiner Mammy! Ich will nach Hause!«, schluchzte das Mädchen und blickte Kate mit zitterndem Kinn an.
Noch bevor Kate antworten konnte, kam eine freundlich lächelnde Schwester aus einem benachbarten Zimmer, das Kind hörte sofort auf zu weinen.
»Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte sie sich.
»Oh, nein. Ich warte bloß auf jemanden. Fehlt dem Mädchen irgendwas? Sie sucht ihre Mutter.«
»Ach, unsere Mary«, winkte die Schwester ab. »Machen Sie sich keine Sorgen. Sie hat gelegentlich solche Zustände.«
»Ist … ist ihre Mutter … in der Nähe?«
Die Schwester nahm Kate beiseite und flüsterte. »Nein, die meisten Kinder hier haben niemanden mehr, und wenn, dann
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