Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Beerdigung an ihrer Seite gestanden. Sie fragte sich, ob sie diese grauenhafte Zeit ohne ihn überhaupt durchgestanden hätte. Als dann alles vorbei war, fühlte sie sich leer und zugleich tief verletzt. Seán hatte ihr den Sinn des Lebens genommen. Niemand sollte mehr Ansprüche an sie stellen, sie hatte nichts mehr zu geben. Sie wollte nur noch im Bett liegen und von Ben träumen, und das hatte sie wochenlang auch getan, ohne zu merken, dass sie Tess vernachlässigte. Beim Gedanken daran errötete sie vor Scham. Wie hatte es so weit kommen können?
Und jetzt hatte sie auch noch Dermot verloren. Sie beschloss, ihm nichts von dem Baby zu sagen, sie wollte nicht den gleichen Fehler machen wie ihre Mutter. Und sie würde das Kind behalten. Wenn sie doch nur aus Árd Glen verschwinden
könnte, in diesem Nest ließ sich eine Schwangerschaft unmöglich geheim halten. Aber sie konnte auch nicht Hals über Kopf wegziehen, schließlich musste sie auf Tess Rücksicht nehmen. Außerdem besaßen sie woanders keine Verwandten, an die sie sich hätte wenden können. Sie hoffte, dass der Hof sich vorteilhaft verkaufen ließ und sie irgendwo anders ein neues Leben beginnen konnten, noch bevor das Baby auf die Welt kam.
Ihr wurde bewusst, dass Tess sie anstarrte und darauf wartete, eine bessere Antwort auf ihre Frage nach Dermot zu erhalten.
»Tess, wir müssen einen Rechtsanwalt in Dublin aufsuchen, wo dein … wo Dad sein Testament hinterlassen hat.« Kate vermied es, Michael Byrne als ihren Vater zu bezeichnen. »Wir brauchen die Besitzurkunden vom Hof. Besitzurkunden sind Papiere, auf denen steht, wem was gehört. Die brauchen wir auf jeden Fall, egal, wie wir uns entscheiden.«
Tess war für den Rest des Abends in Gedanken versunken und griff nicht einmal nach ihren Stiften, um zu malen. Sie hatte die Veränderungen satt und sich all die Jahre über so gefreut, nach Hause zu kommen, und jetzt sollte sie nach gerade einmal zehn Monaten schon wieder umziehen.
Die Klinik hatte Tess zu einem Nachsorgetermin nach Dublin bestellt, und Kate hoffte, am selben Tag auch einen Termin beim Rechtsanwalt zu bekommen. Aber da sie befürchtete, dass Tess sich weigern würde, die Klinik zu betreten, hatte sie ihr noch nichts davon gesagt, und der heutige Abend war entschieden der falsche Zeitpunkt dafür.
Kapitel 45
1981
D ermot Lynch saß am Bett seines Vaters. Er hasste die stille, weiß gestärkte Welt des Krankenhauses. Seit Dan Lynchs Schlaganfall waren jetzt sechs Wochen vergangen und nach ersten Anzeichen einer Besserung war er jetzt durch eine Lungenentzündung zusätzlich geschwächt. Er schlief fast nur noch, und wenn er einmal die Augen aufschlug, hielt er Dermot für seinen Bruder, der schon als junger Mann der Tuberkulose zum Opfer gefallen war. Obwohl er die Sprache zumindest teilweise wiedergefunden hatte, war er kaum zu verstehen und sprach vom Krieg, als fände er gerade statt. Außerdem erkundigte er sich nach Annie, Dermots schon lange verstorbener Tante, und rief nachts nach seiner Mutter. Nach einer Fieberattacke erkannte er seine Frau und seine Kinder nicht mehr.
Dermot horchte auf das langsame, einschläfernde Ticken der großen Holzuhr an der gegenüberliegenden Wand des Krankenzimmers, auf den Fensterbänken des schmalen Raumes standen kleine Figuren. Dermot fand die Stille bedrückend und ertappte sich bei dem Wunsch, dass die Sache bald ein Ende hatte. Wenn sein Vater nicht bald so weit wieder hergstellt war, dass er nach Hause kommen konnte, sollte er lieber friedlich und ohne Schmerzen sterben. Eine Hustenattacke ließ seinen Körper erzittern, und er rang nach Luft. Als
die Krankenschwester ihm die Sauerstoffmaske übers Gesicht stülpte, schlug er die Augen auf.
Dermot ließ sich auf seinem Stuhl zurücksinken und dachte an Kate. Mittlerweile hatte er die Hoffnung aufgegeben, je wieder etwas von ihr zu hören.
Anfangs hatte er sich hier in der alten Heimat durchaus wohl gefühlt, was ihn wunderte, da er sie im Unfrieden verlassen hatte. Er begriff es als Chance, das Verhältnis zu seinem Vater wieder in Ordnung zu bringen, der zumindest manchmal genau zu wissen schien, wer neben ihm saß. Doch je mehr Zeit verstrich, desto größer wurde seine Sehnsucht nach Árd Glen, nach Kate. Er war überrascht, wie sehr ihm auch das Dorf und die Umgebung fehlten. Seine anfängliche Freude über die vertraute Landschaft rund um Galway war verflogen, der ständige Regen und der unablässig wehende Westwind gingen ihm
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