Das Maedchen mit den Schmetterlingen
blutig gemacht. Als sie anfing zu weinen, legte er ihr seine blutige Hand auf den Mund, und da fing sie an zu schreien. Er starrte sie an und fragte sie, wie ihre Mutter hieß, und schüttelte sie, weil sie nicht antworten konnte. Als sie es ihm schließlich gesagt hatte, stieß er sie zu Boden und sah sie kopfschüttelnd an. Er beugte sich ganz dicht zu ihr herunter und sagte, sie dürfe niemandem erzählen, dass sie ihn gesehen hatte. Sie sollte den Mund halten, sonst würde ihr etwas Schreckliches zustoßen. Dann rannte er davon.
Tess machte eine Pause.
»Und was hast du dann gemacht?« erkundigte sich einer der Beamten gespannt
Tess schluckte. Kate legte ihr den Arm um die Schultern.
»Dann ist ein Fischer zu mir gekommen und hat gesagt, dass Daddy tot ist. Er hat andere Fischer geholt, und die haben dann die Polizei geholt. Dann haben sie mich auf eine Polizeiwache gebracht und wollten mich nicht mehr zu Kate nach Hause lassen.«
»Tess«, hakte der Beamte vorsichtig nach. »Hast du gesehen, wie dieser Mann deinen Vater ermordet hat?«
Tess wich seinem Blick aus und ließ sich die Ereignisse noch einmal durch den Kopf gehen. »Nein.«
Der Mann seufzte. Es gab ein Motiv, und McCracken war auch am Tatort gesehen worden, doch das Mädchen konnte nicht bestätigen, dass er der Täter war. Es war also immer noch möglich, dass ihm der aalglatte Rechtsanwalt durch die Lappen ging.
Tess, die alles detailliert und ohne jede Gefühlsregung geschildert hatte, fing jetzt an zu weinen, überwältigt von der Erinnerung an die lange Trennung von ihrer Schwester. Sie klammerte sich an Kate, die ihren Tänen freien Lauf ließ. Endlich
hatte sie Gewissheit, was an jenem Tag, der ihr Leben für immer verändert hatte, geschehen war.
Die Polizei postierte einen uniformierten Beamten vor dem Haus, der die ganze Nacht Wache hielt. McCracken war der Polizei nicht unbekannt. Man hatte ihm zwar nie etwas nachweisen können, aber er hatte viele Gesinnungsgenossen, die als gefährlich eingestuft wurden, was die Beamten den beiden Frauen allerdings verschwiegen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, hieß es, doch Kate ließ sich nicht täuschen, und so sahen sie und Tess einer weiteren schlaflosen Nacht entgegen.
Kapitel 47
1981
E s fiel Sam Moran verdammt schwer, die Wahrheit über Seán Byrnes Herkunft für sich zu behalten. Ihm war klar, dass er, selbst wenn es ihm gelingen sollte, seine Theorie zu beweisen, mit dieser Information nicht an die Öffentlichkeit gehen konnte. Aber immerhin wäre dann diese eine bohrende Frage geklärt, die mittlerweile sein ganzes Denken beherrschte. Wie hatte ein Mädchen vom Lande wie Maura Kelly die Bekanntschaft von Éamonn McCracken gemacht? Dublin lag nicht allzu weit entfernt, aber für irgendwelche Tanzveranstaltungen wird sie kaum so weit gefahren sein, abgesehen davon, dass ein Mädchen damals ohnehin keine Erlaubnis bekommen hätte, über Nacht in Dublin zu bleiben. McCracken musste irgendeine Verbindung nach Árd Glen gehabt haben, und um das zu beweisen brauchte er seine Geburtsurkunde. Er wusste nicht einmal, wie alt McCracken war, und hätte nicht eine seiner Ex-Freundinnen auf dem Standesamt gearbeitet, wäre es aussichtslos. Aber McCracken war ein ungewöhnlicher Name, also konnte es nicht allzu schwierig sein.
Er sah Sylvia O’Reilly, noch bevor sie ihn sah. Sie hatte ungefähr zwanzig Kilo zugelegt, seit er sie zuletzt spätabends für ein Techtelmechtel am Kanal ausgeführt hatte. Ihr einst pechschwarzes Haar war schlecht gefärbt, und durch den grauen Streifen, der sich ihren Scheitel entlangzog, sah sie aus wie ein
Dachs. Sie errötete, als sie die nächste Nummer aufrief und ihn an den Schalter treten sah.
»Sam, wie geht’s dir?«, fragte sie mit ihrem breiten Dubliner Akzent und versicherte sich mit einem Blick über die Schulter, dass ihre Arbeitskolleginnen nicht lauschten.
»Prima, Sylvia … du siehst fantastisch aus.«
»Lüg nicht«, erwiderte sie leise. »Ich seh aus wie’n Elefant. Das kommt davon, wenn man vier Kinder kriegt.«
»Mit wem bist du verheiratet?«
»Eamo’ Martin, weißte noch?«
Sam versuchte sich zu erinnern. »Ach ja, dieser Spinner!«
»Isser immer noch … ein Scheißkerl!« Sie fragte sich, was Sam von ihr wollte.
»Na, so’n Zufall. Ich suche nämlich auch nach ‘nem Éamonn.«
»Ach, ja?«, gab sie misstrauisch zurück. »Hast du das Geburtsdatum?«
»Nein, aber hier ist sein Name …«
»Das kann ich nich’ mach’n.«
»Na
Weitere Kostenlose Bücher