Das Maedchen mit den Schmetterlingen
hinterher. Er drehte sich um, lächelte ihr zu und winkte in die Runde, bis er nicht mehr zu sehen war. Tess setzte sich wieder hin und beendete ihre Mahlzeit. Dieser Junge war interessant. Hoffentlich sah sie ihn wieder.
Schon wieder musste Kate mit anhören, wie Seán sich in den frühen Morgenstunden übergab, aber sie blieb liegen. Sie hoffte immer noch, dass die Erfahrung ihn in Zukunft vom Trinken abhalten würde. Am Nachmittag stand er schließlich auf, und Kate setzte ihm schweigend einen Teller mit Essen vor.
»Was ziehst du denn für ein Gesicht, Kate? Hab ich etwa kein Recht, mal ein Glas Bier zu trinken, wenn ich Lust drauf habe?«
»Du hast kein Recht, das letzte bisschen Geld, das wir noch haben, zu vertrinken, Seán. Ich hätte eigentlich gedacht, unser Bedarf an Besäufnissen wäre ein für alle Mal gedeckt.«
Seán schwieg eine Weile mit gesenktem Kopf wie ein unartiges Kind. Er hatte Kopfschmerzen, und ihm war schlecht. Er konnte nicht begreifen, weshalb manche Leute sich das regelmäßig antaten.
»Tut mir leid, Kate, du hast ja Recht. Ich … … ich weiß einfach nicht, wie es weitergehen soll. Was sollen wir machen, Kate? Die Polizei prüft jetzt das Testament. Ich habe dem Rechtsanwalt gesagt, dass ich nichts davon gewusst habe. Wir können vorerst kein Stück Vieh verkaufen, und so kommt auch kein Geld ins Haus. Wir sind ruiniert, Kate.«
Kate hörte ihm mit gefasster Miene zu, die nichts von dem Ärger verriet, der allmählich in ihr hochkochte.
»Es geht immer nur um dich, Seán, hab ich Recht? Armer
Seán! Nichts läuft so, wie du es gerne hättest. Nun, ich habe auch den einen oder anderen Verlust zu beklagen. Ist dir eigentlich klar, dass für dieses Wochenende meine Hochzeit geplant war? Hast du auch nur einmal daran gedacht, während du unterwegs warst, um deine Sorgen zu ertränken? Es ist nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben, ich weiß, aber dass du dich jetzt im Selbstmitleid suhlst, bringt uns auch nicht weiter.«
Seán verstummte. Kate hatte Recht. Er hatte bisher keinen einzigen Gedanken an sie verschwendet. Plötzlich meldete sich sein schlechtes Gewissen, nicht etwa, weil Kates Hochzeit geplatzt war, sondern weil er froh war, dass sie noch da war. Er brauchte sie. Sie stärkte ihm den Rücken, und außerdem war sie die Klügere. Aber sie durfte nicht wissen, was für ein schwacher, selbstsüchtiger und oberflächlicher Charakter er war. Er musste jetzt die richtigen Worte finden, damit sie sich wieder beruhigte.
»Tut mir leid, Kate. Ich mache mir nur Sorgen, um uns alle. Wir müssen zusammenhalten. Kein Streit mehr, ja? Wir müssen auch an Ben denken. Ich rühre keinen Tropfen mehr an. Ich gehe zu Brown & Son und erkundige mich, was wir mit dem Hof machen können.« Dann blickte er seiner Schwester in die Augen, um sich zu vergewissern, dass seine Worte etwas ausgerichtet hatten. Er wusste, dass die Erwähnung Bens sie besänftigen würde.
Sie schien einzulenken. Weiber, dachte er selbstgefällig. Mit Kindern kriegt man sie doch immer.
Seán überstand auch den nächsten schlimmen Kater und machte sich auf den Weg in die Kanzlei von Brown & Son, um mit dem jungen Rechtsanwalt zu sprechen. Kate war immer noch wütend, weil er wieder im Pub gewesen war, und
sie verbreitete eine derart eisige Atmosphäre im ganzen Haus, dass er überall hingefahren wäre, nur um ihr aus dem Weg zu gehen. Zugegeben, er hatte noch mehr von ihren schwindenden Ersparnissen vertrunken, aber obwohl ihm der Alkohol nach wie vor widerstand, versetzten ihn ein paar Gläser in einen angenehmen Dusel, und seine Gedanken kreisten nicht mehr ständig um Tess. Er hatte sie immer noch nicht in der Anstalt besucht. Er konnte sich einfach nicht überwinden, und je länger er wartete, umso schwieriger wurde es. Sobald der Alkohol seine Wirkung entfaltete, erschien ihm seine größte Sorge, dass er schon ein gewisses Alter erreicht hatte und immer noch völlig mittellos dastand, nur noch wie ein böser Traum. Und wenn er morgens aufwachte, dann sehnte er sich nach diesem Gefühl, nach diesem friedlichen Rausch zurück. Aber eigentlich hatte er sich sein Leben anders vorgestellt. Eigentlich hatte er große Pläne mit dem Hof gehabt und schon vor Michaels Tod zwei kleinere Felder wieder bestellt, um die sein Großvater und sein »Vater« sich nie gekümmert hatten.
In der Kanzlei wurde er von Ciaran Brown begrüßt wie ein lange verschollener Freund.
»Seán. Herzlich willkommen.
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