Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Wie geht’s, wie steht’s?«
Seán konnte den Kerl mit seiner ewig guten Laune immer noch nicht ausstehen und ertappte sich dabei, wie er voller Neid dessen glatt rasiertes, hübsches Gesicht und den teuren Anzug musterte. Sorgen waren diesem Rechtsanwalt wahrscheinlich völlig unbekannt. Außerdem fand er es unerträglich, dass er hierherkommen und seine persönlichsten Probleme mit diesem Mann besprechen musste, der mit Sicherheit keine Ahnung hatte, was Elend bedeutete.
»Alles beim Alten«, erwiderte Séan. »Mittlerweile weiß ich, dass das Testament, das mein … ähm … Vater 1961 verfasst
hat, immer noch gültig ist. Er hat alles meiner kleinen Schwester vermacht. Ich soll den Hof führen, bis sie volljährig ist. Es gibt noch ein zweites Testament, in dem er meinen Bruder, der noch ein Baby ist, zum Alleinerben einsetzt, aber das hat er nicht mehr unterschrieben.« Seán brachte es nicht fertig, dem Rechtsanwalt in die Augen zu sehen. »Mir ist klar, dass dieses Testament ungültig ist, weil die Unterschrift fehlt, aber das erste ist, um ehrlich zu sein, auch nicht besser. Tess ist behindert und wird den Hof niemals übernehmen können, aber ich muss ihn für sie weiterführen, bis sie einundzwanzig ist. Das ist doch ein Witz.«
Ciaran Brown rührte sich nicht und schwieg eine Weile. »Sie könnten das Testament anfechten«, sagte er schließlich, »Aber Sie wissen ja, welchen Eindruck das im Dorf machen würde.«
Seán wusste, was er meinte. Dann würden alle erfahren, dass Michael Byrne nicht sein richtiger Vater gewesen war, was er auf keinen Fall riskieren wollte.
»Ich schlage vor, Sie besorgen sich einen Arzt, der ein Gutachten erstellt, aus dem hervorgeht, dass Ihre Schwester den Hof unter keinen Umständen übernehmen kann, und dann lassen Sie sich zu ihrem Vormund bestellen. Wie alt ist sie?«
»Elf. Sie lebt in … einer Anstalt.« Seán merkte, wie er bei dem Wort »Anstalt« rot wurde, aber warum eigentlich? Schließlich gehörte sie dahin, oder etwa nicht?
Brown ging nicht darauf ein. »Gut. Sobald Sie also als Vormund bestätigt sind, können Sie in ihrem Namen den Hof führen. Wird sie dauerhaft nicht zu Hause wohnen?«
»Nein. Sie ist dort in Behandlung wegen ein paar persönlicher Schwierigkeiten. Sobald sie dazu in der Lage ist, kommt sie wieder nach Hause.«
»Also gut, Seán. Ich würde an Ihrer Stelle so schnell wie
möglich versuchen, die nötigen Papiere zu bekommen. Wird sie denn begreifen, dass sie den Hof geerbt hat?«
»Nein«, log Seán. »Muss sie das denn wissen? Ich meine, es wäre einfach sehr unangenehm, sie dort zu besuchen.«
»Nun, wenn Sie sagen, dass sie es nicht verstehen kann, und wenn Sie ihr Vormund sind, dann sehe ich keinen Grund, warum sie davon in Kenntnis gesetzt werden müsste, aber Sie brauchen ein ärztliches Gutachten über die geistigen Fähigkeiten Ihrer Schwester. Anschließend müssen die Papiere an den Rechtsanwalt Ihres Vaters weitergeleitet werden. Danach können Sie den Hof dann genauso bewirtschaften, als wäre er Ihr Eigentum. Ich gehe davon aus, dass Sie die Interessen Ihrer Schwester dabei wahren werden.« Ciaran erhob sich und reichte Seán die Hand. »Lassen Sie mich wissen, falls ich sonst noch etwas für Sie tun kann. Die Besitzurkunden für den Hof verbleiben bei Roberts & Holford, genau wie alle anderen Unterlagen Ihres Vaters, aber ich darf doch gewärtigen, dass Brown & Son sich Ihrer eigenen juristischen Angelegenheiten annehmen darf?«
»Ja, natürlich«, erwiderte Seán leise.
Er wusste nicht genau, was »gewärtigen« bedeutete, aber das würde er Brown nicht auf die Nase binden. Auf dem Weg zurück zu seinem Lieferwagen nagten die Worte »den Hof dann genauso bewirtschaften, als wäre er Ihr Eigentum« an ihm. Die Adern auf seiner Stirn und am Hals schwollen bedenklich an, während die Wut in ihm hochkochte.
Als er vor dem verbeulten Transporter stand, bemerkte er, dass er direkt vor einem Pub geparkt hatte. Nur ein einziges Glas, bevor er sich auf den Heimweg machte …
Kapitel 21
1981
S am Moran ließ schweigend die Dinner-Party anlässlich des Geburtstags seines Schwiegervaters über sich ergehen. Er hasste diese hochgestochenen Veranstaltungen und fühlte sich wie ein Fisch auf dem Trockenen. In Gesellschaft der sogenannten Mittelschicht hatte er sich noch nie besonders wohl gefühlt. Auch kam ihm Mona, seit sie wieder in Irland lebten, oft wie eine Fremde vor. Als sie sich damals in England kennengelernt
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