Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Akzent.
»Die Provos.«
Sam lachte laut auf und lenkte damit die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich und seinen verängstigten Informanten.
»Ach, komm schon, du willst mir doch nich’ erzähl’n, dass dieser Rechtsanwalt was mit der IRA zu tun hat? Du hast sie ja nich alle, eh. Die Bull’n ha’m dir wahrscheinlich einmal zu oft auf die Birne gehau’n, Rabbit.«
»Du hast mich gefragt, ich hab’s dir gesagt und das is’ die reine Wahrheit. Er haut Leute raus, die mit der IRA zu tun ha’m. Auch’n paar hier aus der Gegend, die ich persönlich
kenn’. Is’n hohes Tier, macht sich die Hände nich’ schmutzig, aber er gehört dazu, kannst mir glaub’n.«
Sam musterte Rabbit Flanagan misstrauisch, ob er ihn auf den Arm nehmen wollte, doch Rabbit hielt seinem Blick stand, bis er wieder anfing, ängstlich um sich zu blicken. Sein Freund hatte offenbar tatsächlich Angst, und Sam wechselte schnell das Thema. Er kaufte sogar ein bisschen Obst, wie ein ganz normaler Kunde, bevor er mit raschen Schritten die Moore Street hinunter zum Liffay lief. Er hatte den Müllkippen-Artikel für Talbot nicht geschafft und Informationen ausgegraben, die er gar nicht wollte, aber der Wahrheit hinter dem Mord an Byrne war er immer noch kein Stückchen näher gekommen.
Kapitel 26
1967
M auras Leben hatte sich im Lauf ihrer mittlerweile neunzehn Jahre währenden Ehe mit Michael Byrne nicht entscheidend verändert. Ihre Eltern waren gestorben, was sie sehr getroffen hatte, obwohl sie weder zu ihrer Mutter noch zu ihrem Vater ein besonders enges Verhältnis gehabt hatte und ihnen immer noch übel nahm, dass man sie zur Hochzeit mit Michael gezwungen hatten. Diesen Vorwurf würde sie mit ins Grab nehmen, das wusste sie. Zu ihrem Bruder hatte sie gar keine Beziehung. Jimmy wohnte nur einen Katzensprung entfernt, doch sie sahen sich nur selten. Mauras Leben drehte sich ausschließlich um ihre drei Kinder. Seán und Kate waren mittlerweile fast schon erwachsen. Ihre Jüngste, Tess, war mit Abstand die Schwierigste. Sie war durchaus ein liebenswürdiges Kind, hatte aber das eigenartige Wesen und die misstrauische Art ihres Vaters geerbt.
Maura war schon wieder im achten Monat und wunderte sich, dass die Schwangerschaft überhaupt so weit gediehen war. Seit Tess auf die Welt gekommen war, hatte sie drei Fehlgeburten erlitten. Wenige Wochen später wurde Ben geboren. Maura mühte sich nach Kräften, Interesse für das Kind aufzubringen, überließ es aber mehr und mehr der Obhut ihrer ältesten Tochter. Maura stellte fest, dass sie immer wieder Dinge verlegte. Einmal, als sie Einkäufe im Dorf erledigt hatte, war
ihr sogar der Heimweg entfallen, und sie war in die entgegengesetzte Richtung gelaufen, bis ein Nachbar sie auf der Straße aufgesammelt und sie nach Hause gefahren hatte. Ihr Doktor meinte, dass die relativ früh einsetzenden Wechseljahre daran schuld seien, was sie bezweifelte. Sie setzte die Schlaftabletten ab, die sie seit Jahren nahm, aber ihr Gedächtnis wurde immer schlechter. Seit Bens Geburt hatte Michael sie nicht mehr vergewaltigt, und Maura fragte sich, ob es daran lag, dass er nun einen Sohn hatte, auch wenn er sich kaum für das Neugeborene interessierte. Manchmal überließ sie sich ihren Fantasien und malte sich ein vollkommen anderes Leben aus, oft sogar ein Leben ohne Éamonn McCracken. Manchmal heiratete sie dann einen Mann ihrer Wahl, einen, den sie liebte, und lebte weit weg von Árd Glen, in New York oder Toronto, obwohl sie dort noch nie gewesen war. Maura merkte, dass sie sich an die Vergangenheit genau erinnern konnte, auch wenn ihr nicht mehr einfiel, was sie gestern gemacht hatte. Oft vergaß sie mitten im Satz, was sie eigentlich sagen wollte, nur um das ganze Gespräch noch einmal von vorne zu beginnen, sehr zum Ärger ihrer Kinder. Doch der Doktor konnte sie beruhigen, und sie hörte auf, sich über ihre Gedächtnisprobleme Gedanken zu machen. Aber es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie anstatt der Gegenwart die Vergangenheit hätte vergessen können, dann wäre das Ganze eine feine Sache gewesen. Als Maura dann schließlich auch die Namen ihrer Kinder oder die Tatsache vergaß, dass das Baby im Haus ihr eigenes war, da ergaben verschiedene Untersuchungen in Dublin, dass sie an einer seltenen Form einer schnell fortschreitenden, vorzeitigen Demenz erkrankt war, für die es keine Heilung gab. Maura verfiel rasch, und bald nach Bens erstem Geburtstag war sie ans Bett gefesselt, wo sie rund um
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