Das Maedchen mit den Schmetterlingen
zwar grundsätzlich nicht zu schade zu heucheln, er suche juristischen Beistand in einer persönlichen Angelegenheit, wollte aber nur ungern zu einer Lüge greifen, um nicht in hohem Bogen vor die Tür gesetzt zu werden, ohne die Informationen, die er haben wollte.
Eines Nachmittags hatte er versucht, mit Seán Byrne im Slattery’s ins Gespräch zu kommen, hatte aber feststellen müssen, dass dieser bereits so betrunken war, dass er ihm gar nicht mehr antworten konnte. Ein paar Tage zuvor hatte er Liam Kelly auf der Straße angesprochen, doch sobald er damit herausgerückt war, worum es ging, hatte Kelly leichenblass das Weite gesucht. Ohne nachzudenken hatte Moran ihn verfolgt, wofür er sich später schämte. Man hatte ihn hinter
Kelly herrennen sehen, über den Markt bis in die Colliers Row, doch dann war Kelly plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Warum war er überhaupt weggelaufen? Ob er nach dem Mord an Michael Byrne auch verhört worden war? Damals musste er nach Morans Berechnung noch ein halbes Kind gewesen sein.
Als Sam zum vereinbarten Zeitpunkt in der Anwaltskanzlei erschien, brachte man ihn ins Büro von Éamonn McCracken, der ihm freundlich die Hand schüttelte und ein wenig über das Wetter plauderte. Sam gewann schnell den Eindruck, dass er hier schnell den Kürzeren ziehen könnte, und tastete sich vorsichtig zum eigentlichen Grund seines Besuches vor. Er sah, wie sich auf der Miene des rothaarigen Mannes zunächst Entsetzen und dann Wut ausbreitete, und ihm war klar, dass er einen Nerv getroffen hatte. Aber womit? McCracken hatte sich schnell wieder im Griff, doch anstatt wie vorher Jovialität und Selbstbewusstsein zu verströmen, gab er jetzt nur noch widerwillig Antwort und teilte Sam kühl mit, dass zwar seine Kanzlei mit dem Testament der Byrnes befasst sei, er persönlich damit jedoch nichts zu tun habe und auch nicht berechtigt sei, persönliche Angaben bezüglich ihrer Klienten herauszugeben, ob tot oder lebendig. Sam versuchte, ihn zu ködern, probierte es sogar mit seiner »Von Mann-zu-Mann-Masche«, aber vergeblich.
»Sie haben ihn also nicht persönlich gekannt, ihn nie getroffen?« bohrte er nach.
»Ich sagte Ihnen doch, Mr. Moran, ich war nie mit seinen Angelegenheiten befasst.«
»Sind Sie vielleicht für seine Angehörigen irgendwann einmal tätig gewesen? Es kommt mir eigenartig vor, dass er sich ausgerechnet hierhergewandt hat. So weit von seinem Wohnort entfernt und …«
»Worauf wollen Sie hinaus, Mr.Moran? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Es ergibt einfach keinen Sinn, Mr. McCracken … darf ich Sie Éamonn nennen?«
»Nein.«
Sam fuhr unbeeindruckt fort. »Der Punkt ist der: Ich stamme aus Dublin, genau wie Sie. Mir ist es eigentlich ziemlich egal, wo ich mein Fleisch oder meine Klamotten kaufe, wo ich mir juristischen oder sonstigen Beistand hole. Aber ich weiß, wie die Leute auf dem Land sind. Die ändern ihre Gewohnheiten nicht so leicht. Jedenfalls nicht ohne guten Grund. Irgendetwas hat Michael Byrne dazu veranlasst, über sechzig Kilometer weit zu fahren und in Dublin ein Testament zu verfassen. Irgendetwas hat ihn dazu veranlasst, direkt hierherzukommen. Haben Sie irgendeine Ahnung, was das gewesen sein könnte?« Sam hatte eine forsche Miene aufgesetzt. Ihm war klar, dass sich McCracken nichts mehr entlocken lassen würde, aber zumindest konnte er ihm noch ein bisschen auf die Nerven fallen, bevor er ging oder hinausgeworfen wurde.
McCracken lehnte sich in seinem teuren Ledersessel zurück und fixierte Moran. Seine grünen Augen waren plötzlich schwarz wie Kohle, blitzten als kleine, schwarze Perlen unter buschigen roten Augenbrauen hervor, bis der Möchtegern-Journalist unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. McCracken schien nachzudenken, sein Blick flackerte, ohne Moran, dem jetzt der Schweiß ausbrach, nur einen Augenblick ganz aus den Augen zu lassen.
Schließlich ergriff McCracken das Wort.
»Es tut mir leid, dass Sie umsonst gekommen sind, Mr. Moran. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, ich habe noch einen Termin.«
McCracken stand auf und ging zur Tür, die einen Spalt offen
stand. Doch dann blieb er plötzlich abrupt stehen, drehte sich zu Sam um und reichte ihm die Hand. Er war groß und breitschultrig, und in seinem Gesicht erkannte Moran etliche verblasste Narben. Dann beugte McCracken sich so dicht zu ihm vor, dass Sam erstarrte und zurückwich. Was hatte der Kerl vor?
McCracken brachte seine Lippen dicht an Sams
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