Das Mädchen und das schwarze Einhorn
herunter. Sie verspürte eine peinliche Erleichterung und fühlte sich gleichzeitig so ausgelaugt, als sei sie meilenweit durch die Mittagshitze gelaufen.
Das Einhorn glühte wie Feuer.
»Ich muß hinuntergehen.«
»Runter«, echote das Piefel. Es grub sich unter einer Decke ein.
Tanaquil verließ den Raum und schloß die Tür. Ihre Hände waren voll von Nägeln und Nadeln. Dann hörte sie den Gong unten dröhnen, zu früh eigentlich, biß die Zähne zusammen und setzte sich zu Jaives Festmahl in Bewegung.
In einem Funkenfeuer von Pailletten erhob Jaive sich von ihrem Sitz. »Wir begrüßen die pikante Quarkspeise!«
Alle anderen rappelten sich mühsam empor. »Die pikante Quarkspeise!«
Dann setzte sich alles wieder.
Und dann humpelten die beiden alten Tafelmeister, ein Paar von vielen, die für solche Festessen aus ihrem verdienten Ruhestand aus den Kellern und Speichern der Festung zurückberufen wurden, mit ihren silbernen Schalen durch den Saal. Auf jeden Emailteller plazierten sie einen Schlag Quarkspeise, die fahl aussah und wabbelte.
Trotz der drei prasselnden Feuer in den Kaminen, den Fackelreihen in dämonenförmigen Leuchtern und den rosigen Wandbehängen aus Seide war es in Jaives Saal immer zugig. In der Mitte stand ein einsamer Bankettisch, einem riesigen Fenster aus smaragdgrünem und rotem Glas gegenüber. Draußen an diesem Fenster hatte der Frost bereits seine Blumen wachsen lassen, Farne und fossilienartige Muster. Jenseits davon erstreckte sich die dunkle, gefrierende Wüste, deren rauher Sand sich nur fünf Fuß unterhalb des Fensters erstreckte — das bunte Glas jedoch war magisch, und nur ein Gegenzauber konnte es brechen. Von den geschnitzten Deckenbalken, jedoch hingen gewöhnliche Spinnweben herunter. In den Vorhängen und dem damastenen Tischtuch klafften Löcher. Die Ratten feierten ihre Feste in dem Saal, wenn es Jaive nicht tat.
Die bemalten Türen an der Südseite des Saals ächzten ein viertes Mal auf.
Jaive erhob sich von ihrem Stuhl.
»Wir begrüßen die Suppe!«
Alles erhob sich. »Die Suppe!«
Alles setzte sich.
Jaive thronte im Zentrum der Tafel in einem hohen Elfenbeinsessel mit Einlegearbeiten, die magische Symbole von obskurer Bedeutung zeigten. Die Gäste hatten ihre üblichen Plätze eingenommen. Tanaquil saß zur Rechten ihrer Mutter, direkt hinter ihr befanden sich Vogel und die anderen Zofen, Yeefa und Pflaume. Zu Jaives Linken saß der Hauptmann der Wachen in seiner besten, vergoldeten Rüstung, an die einige möglicherweise echte Orden geheftet waren. Die restlichen Plätze der Tafel auf der linken und rechten Seite nahmen der stellvertretende Kommandeur der Wachen sowie sieben ältliche Pensionäre der Festung, darunter auch Tanaquils ehemalige Kinderfrau, ein. Jeder trug sein bestes Gewand, das in einigen Fällen nach Mottenkugeln roch.
»Wir begrüßen den Bratfisch!«
Auf der Festung bekam man keinen einzigen Fisch zu Gesicht, lag sie doch mehr als hundert Meilen vom Meer entfernt. Als Ersatz fabrizierte die Köchin einen Fisch aus salzigem Kuchenteig, den sie mit Hilfe von Limonen grün färbte. Die Kreation wurde von einer hinkenden Aufwartefrau von neunzig Jahren hereingetragen. Der Fisch war seit Äonen ihre Aufgabe, und Tanaquil erwartete immer, die alte Dame werde die Servierplatte fallenlassen, was aus unerfindlichen Gründen indes nie geschah.
Nachdem ihr aufgetischt worden war, sah Tanaquil düster auf den glitschigen grünen Teigklumpen vor ihrer Nase herunter, während um sie herum die Mädchen und die Pensionäre plapperten und der Hauptmann und sein Stellvertreter zwei der Weinflakons zwischen sich hin und her gehen ließen.
»Ein prächtiges Mahl, Ma'am«, hörte Tanaquil den Hauptmann zu ihrer Mutter sagen.
Tanaquil sah ihre Mutter von der Seite an. Jaives Antlitz trug jenen erhabenen Ausdruck, der typisch für sie war. Ihre Gedanken beschäftigten sich jederzeit mit höheren Dingen, weilten auf den Gipfeln der Magie. Nichts ließ sich mit jenen Gipfeln vergleichen, doch sie leitete das alberne Mahl mit einem Gehabe, als tue sie ihnen allen einen großen Gefallen.
Die Türen ächzten.
»Wir begrüßen das Fruchteis!«
»Das Fruchteis!«
Es handelte sich um Orangeneis, und auf jedem Bällchen thronte eine Orangenblüte.
Die Blüten verwandelten sich weder in Eidechsen, noch flatterten sie davon. In Anwesenheit ihrer Mutter hielten sich die Zaubersprüche respektvoll zurück.
Tanaquil aß ihr Eis. Seine Kälte rutschte in ihren
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