Das Mädchen und das schwarze Einhorn
»Nun?« fuhr das Mädchen fort, immer noch theatralisch, aber mit schon etwas leiserer Stimme, da ja nun allgemeines Schweigen herrschte. »Was habt ihr zu eurer Verteidigung hervorzubringen?«
»Ma'am, diese ungehobelten Burschen stürzten direkt vor uns auf die Straße«, erklärte ein geckenhafter Offizier.
»Offensichtlich«, erwiderte das Mädchen. Auf ihrem Kopf saß ein Käppchen aus Blattgold mit einer wippenden roten Feder. »Du«, setzte sie an Vush gewandt hinzu. Vush erhob sich, die Maske halb heruntergerissen, so daß ein schwarzes Auge über seinem Bart glomm. »Du bist der Vorsteher der Kunsthandwerkergilde, nicht wahr?« »Schawoll«, gab Vush mit aufgeplatzter Lippe zu.
»Was bedeutet dieser Aufruhr?«
Ein Ausdruck der Verzweiflung huschte über Vushs anschwellende Züge. Er straffte seine kräftigen Schultern.
»Wir wurden won einem Einorn werwolgt. Eure Oeit.«
»Von was?«
»Won einem Einorn.«
»Er meint ein Einhorn, Madam«, dolmetschte der Offizier. Er ließ ein affektiertes Lachen hören. »Also wirklich.«
»Wo ist es denn?« wollte das Mädchen wissen. Sie sah sich mit aufrichtiger Begeisterung um. »Erfindest du das nur?«
»Nein, Eure Oeit, daf Geeiligte Vieh erfien unter unf.« Und mit grabesschwerer Stimme fügte er hinzu: »Olle und Werdammnif. Daf ift daf Ende.«
Ein Seufzer fuhr durch die Menge. Tanaquil bemerkte, daß hier und da Abwehrzeichen gegen das Böse und das Unglück geschlagen wurden.
»Falls das Geheiligte Tier«, sagte das Mädchen, »jemals zu uns zurückkehren sollte, würde es sich in den Dienst meines Vaters, des Fürsten Zorander, stellen. Wir haben nichts zu befürchten. Was euch angeht, so bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß ihr euch alle anläßlich eines Gildenrituals betrunken habt. Betrunken habt ihr euch Dinge eingebildet, die gar nicht existieren, seid herausgerannt und habt diesen Tumult verursacht. Mein Vater wird eure Gilde dafür zweifellos zur Rechenschaft ziehen. Darauf könnt ihr mit Sicherheit rechnen, und darüber hinaus hört auf damit, dumme Gerüchte über Einhörner in die Welt zu setzen.«
Die Kunsthandwerker sanken in eine jämmerliche Verbeugung. Sie steckten in einer schrecklich peinlichen Situation. Erste gemurmelte Zweifel kursierten in ihren Reihen. Hatten sie sich das Einhorn vielleicht tatsächlich nur e ingebildet ?
Da stampfte ein dünner, verdorrter Kunsthandwerker mit dem Fuß auf und deutete mit anklagendem Zeigefinger auf die Laterne, den Standort von Tanaquil und dem Piefel. »Sie ist die Unruhestifterin. Sie ist eine Hexe. Sie hat uns diese Dinge sehen lassen«, heulte Jope.
Alle Köpfe drehten sich in ihre Richtung. Jedes Gesicht im Umkreis einer Meile, so wollte es Tanaquil erscheinen, wandte sich ihr zu. Einschließlich des Gesichts der Prinzessin.
Die Prinzessin runzelte die Stirn. Einen Augenblick lang mochte sie verwirrt gewesen sein, vermutlich durch den Anblick des Piefels, das sich mit einer Pfote und dem Schwanz an der Krümmung der Laterne festklammerte und hinunterbaumelte.
»Dieses Mädchen?« fragte die Prinzessin.
Schwerfällig sagte Vush: »Fie at fich alf Junge werkleidet in unfere Alle eingeflichen. Fie at ein Ritual entweiht ...«
Die Prinzessin schnitt ihm das Wort ab. Sie wandte sich direkt an Tanaquil: »Was hast du dazu zu sagen?«
»Ich bin keine Hexe«, entgegnete Tanaquil prompt. Sie starrte einen Moment lang auf das Mädchen und nahm dann wieder Haltung an. »Natürlich hat es kein Einhorn gegeben. Weil ich Gegenstände reparieren kann, haben sie versucht, mich zum Beitritt in ihre Gilde zu zwingen. Sie haben damit gedroht, mich zu ertränken, falls ich es nicht täte.«
»O ja«, konstatierte die Prinzessin. »Vater wird das sehr interessieren.«
Die Kunsthandwerker murrten. Sie verstummten, als der Offizier ihnen einen Blick zuwarf.
»Dann«, fuhr Tanaquil fort, »spielten sie plötzlich alle verrückt, rannten auf die Straße und schrien irgend etwas über geheiligte Tiere. Ich bin fremd in dieser Stadt, und ich bin nicht gerade beeindruckt.«
»Natürlich nicht«, antwortete das Mädchen. Sie wandte sich an die Soldaten. »Räumt bitte die Straße.«
Am Ende triumphierte also doch noch die Ordnung. Die anderen Gefährte wurden wieder auf den Weg gebracht, die Soldaten trieben Kunsthandwerker und Bürger auseinander. Als sie Vush am Straßenrand niedersetzten, gab es Gelächter und höhnische Bemerkungen.
Die Prinzessin sagte zu Tanaquil: »Komm da runter und steig in
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