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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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wollte es nicht, doch das machte keinen Unterschied. »Bleibt stehen«, befahl Lizra den Ponies.
    Sie verließen den Streitwagen und machten sich auf den Weg über die Stranddünen, die ihre Füße ebenso wie der Wüstensand versengten.
    »Hier nahm die Stadt ihren Ursprung«, erklärte Lizra, »vor Hunderten von Jahren. Aber dann verlagerte sich ihr Zentrum.« Sie erreichten die Stelle, wo sich der Bogen der Klippe emporwölbte, die Wurzeln im Sand verankert. »Bei Flut«, erläuterte Lizra weiter, »strömt das Meer hier hinein. Es gab einmal einen Brunnen, aber sein Wasser ist salzig.« Sie hatten vor dem Bogen angehalten wie vor einer gigantischen Kristalltür. Sie konnten durch die Klippenöffnung den darunterliegenden Strand und Himmel sehen, aber sie konnten sie nicht durchschreiten.
    »Und man sagt, das Einhorn sei aus dem Meer gekommen?« fragte Tanaquil, um überhaupt etwas zu sagen und die Stille und das ruhige Miauen des Windes zu brechen. »Ja. Auf einer Woge. Es trat aus dieser Bogenöffnung heraus und berührte den Sand mit seinem Horn, um die Quelle zu wecken. Der Fels erhielt den Namen Geheiligtes Tor.
    Sogar heute denkt man, es bringe Unglück, ihn zu durchschreiten, ich meine, wirklich durch das Loch hindurch und auf der anderen Seite wieder herauszugehen.«
    Sie warteten auf dem heißen Sand, blickten auf den Strand und das Meer und den Himmel auf der anderen Seite des Tors.
    »Traust du dich?« fragte Tanaquil. »Viele Leute durchquerten es, wegen der Herausforderung. Aber es gibt auch eine Geschichte über drei junge Männer, die eingetreten und nie wieder hinausgekommen sind. Und über eine alte Fischersfrau, die hineinging und auf der anderen Seite als Delphin wieder herausschwamm!«
    Sie grinsten einander an. Dann nahmen sie einander bei der Hand und rannten ohne Zögern kreischend durch den Felsen hindurch.
    Der violette Schatten brauste über sie wie eine Woge. Der Sand war kühler hier, feucht und haftend; es schien, als könne er jederzeit nachgeben und sie in einen Abgrund ziehen - und Tanaquil erinnerte sich daran, wie sie die Knochen ausgegraben hatte und der Sand unter ihr weggerutscht war -, und dann durchlebte sie einen seltsamen, unbeschreiblichen Augenblick. Es war, als habe sie ihre Augen geschlossen, ja mehr noch, als sei sie für die Dauer von drei oder fünf Herzschlägen eingeschlafen. Und dann rannten sie auf der anderen Seite in die sengende Hitze des Strandes, und die Sonne hämmerte auf sie hernieder. »Hast du das auch gespürt?« »Es war merkwürdig.«
    »Aber - nur einen Augenblick lang -etwas.«
    »Aahh!« kreischte Lizra auf. »Du hast dich in einen Delphin verwandelt!«
    Sie lachten tatsächlich darüber. Und warfen sich plötzlich einander in die Arme. Und lösten sich genauso plötzlich wieder voneinander.
    »Unter dem Fels gibt es ein Stück Luft, das sich anfühlt, als renne man durch zerrissene Bänder«, stellte Tanaquil fest.
    »Das habe ich nicht bemerkt«, entgegnete Lizra ganz ohne Kalte, ganz ohne Forderung. »Ich glaube, du bist wirklich eine Hexe. Eine Art Hexe — irgendwie. Schließlich können nicht alle Hexen schlecht sein. Es ist nur mein Vater. Er hat mir einmal erzählt, daß er dieser fürchterlichen Hexe in der Wüste begegnet ist. Eine Dämonin, behauptete er.« Und Tanaquil erlebte dort, in der flimmernden Hitze, wie sich ein größeres, dunkleres, tieferes Tor, noch geheimnisvoller und schrecklicher als jedes Einhorntor, vor ihr auftat, ihr entgegengähnte, um sie aufzunehmen. »Es war kurz vor seinem Regierungsantritt, kurz bevor er Mutter heiratete. Er ging in die Wüste auf Jagd, verlief sich, und wurde von seinen Begleitern getrennt. Er gelangte zu einer Art Burg oder Festung. Da wohnte eine rothaarige Zauberin, die ihn mehrere Tage lang gefangen nahm, bevor er sie schließlich überlisten und ihren Fängen entkommen konnte. Sie hatte Schlangen in den Haaren, sagte er. Sie war ziemlich verrückt.« Lizra zögerte. »Doch ich wünschte, ich könnte endlich . herausfinden, an wen du mich erinnerst.«
    Tanaquil holte tief Luft, bis zu ihren Fußspitzen herunter.
    »Ich erinnere dich an dich selbst, Lizra, wie du mich an mich selbst erinnerst. Und das ist auch nicht weiter verwunderlich. Wir sind Schwestern.«
    Sie standen auf dem Strand, auf der anderen Seite des Bogens.
    »Ich glaube dir«, meinte Lizra, »aber erzähl mir trotzdem, warum.«
    »Meine Mutter«, sagte Tanaquil. Sie spürte Tränen in sich aufsteigen, höchste Belustigung

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