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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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entlang der Straße, doch waren sie verlassen, ihre Ziegel zerbröselten und die Dächer waren zusammengebrochen. Die Stadt trat zurück. Trotz der Sonne und der Bläue des Wassers lag ein Schatten auf dem Morgen.
    Tanaquil fiel nichts ein, womit sie Lizras Niedergeschlagenheit hätte lindern können - oder ihre eigene. Sie beide und das Piefel, das sich mittlerweile an das schwankende Gefährt gewöhnt hatte, verharrten in Schweigen.
    Schließlich sagte Lizra etwas.
    »Ich fahre dich zu dem Ort, an dem das Geheiligte Tier dem Meer entstiegen sein soll.« »Oh«, machte Tanaquil, »gut.«
    »Irgendwie erschien es mir richtig, daß du es siehst.« Lizra gab den Ponies einen leichten Klaps mit den Zügeln, und ihre Fahrtgeschwindigkeit nahm zu. »Ich werde dir jetzt noch eine Frage stellen.«
    »Ja?«
    »Ich will, daß du mir die Wahrheit sagst.«
    »Wenn ich es kann.«
    »Ich würde dich nicht betrügen«, sagte Lizra.
    Tanaquil, die an das Einhorn gedacht hatte, verkrampfte sich und runzelte die Stirn. Von Anfang an schon hatte sie dieses schwierige Gefühl gehabt, daß sie Lizra trauen konnte, und das machte sie ausgesprochen argwöhnisch.
    »Wie lautet die Frage?«
    »Bist du eine Hexe?«
    Tanaquil lachte. »Nein! Du liebe Güte, alles andere, aber keine Hexe.«
    »Mein Vater«, fuhr Lizra fort, »hat mir gesagt, daß Hexen oft rote Haare hätten.«
    »Oh, wirklich, hat er das?«
    »Es ist ein weitverbreitetes Vorurteil in unserer Stadt.«
    »Nun, ich kann dir versichern, daß ich etwa soviel magische Fähigkeiten habe wie eine Orange.«
    »Das klingt für mich«, folgerte Lizra scharfsinnig, »als hätte dich einmal jemand auf die Probe gestellt, um das herauszufinden.« Tanaquil schwieg. »Aber was ist mit dem Piefel?«
    »Du meinst den Trick, es so aussehen zu lassen, als spräche es? Das ist nichts als ein Zauberkunststück.«
    »Nein, ich meine die Tatsache, daß es spricht.«
    Tanaquil starrte auf die melancholische, sonnenbeschienene Landschaft. Die verkrüppelten Palmen raschelten in einer vom Meer kommenden Böe, und Sand spritzte von den Hufen der Ponys auf. Ein Ruinenhaus lehnte sich gefährlich auf die Straße hinaus.
    Das Piefel, das durch das Geländer des Streitwagens lugte, verkündete lauthals: »Ratten dort. Will in das Haus.«
    Lizra, deren Stimme nun etwas von der Kälte ihres Vaters angenommen hatte, sagte: »Siehst du, die Leute lügen mich immer an. Oder sie erzählen mir manche Dinge einfach nicht. Oder sie erzählen mir Dinge, die mich beunruhigen sollen, wie diesen Blödsinn mit den roten Haaren. Sogar Yilli, du weißt schon, also als Yilli mir damals das Messer an die Kehle setzte, da sagte sie: >Es wird nicht weh tun.<«
    »Vielleicht hätte es wirklich nicht weh getan«, meinte Tanaquil. »Oder sie mochte dich so, daß sie es wünschte.«
    »Der Gedanke ist mir noch nie gekommen.«
    »Ratten«, sagte das Piefel wehmütig.
    »Du willst gar keine Ratten. Du hast ein fürstliches Frühstück gehabt«, versetzte Tanaquil und fuhr, an Lizra gewandt, fort: »Alles macht hier auf irgend etwas Jagd. Und die prächtige Stadt hat dreckige Hinterhöfe und blinde Bettler. Ja, ich kenne eine Zauberin. Sie hat mir immer von einer perfekten Welt erzählt, wo alles in Harmonie miteinander existiert. Und sie hat mir ein Meer in der Wüste gezeigt. Doch sie verspritzt Magie um sich wie andere Leute Suppe. Und — das Piefel ist hineingefallen. Darum spricht es.«
    »Mein Vater ...« setzte Lizra an und stockte mitten im Satz. »Sieh dort. Das ist die Stelle, an der das Einhorn das Land betreten hat.«
    Der Streitwagen kam zum Stehen. Das Piefel sprang heraus und raste zurück, auf das Ruinenhaus zu, die Leine ungehindert hinter sich herziehend.
    Es wurde sehr still, und der Wind war wie die Stille, der man eine dünne, vorüberhuschende Stimme gegeben hatte. Hitze brannte vom Himmel nieder und über das glitzernde Meer hinweg. Eine Reihe von Felsen erhob sich aus dem Wasser, niedrige Plattformen, die weiter landeinwärts zu Klippen wurden. Wo die Wellen auf den Strand schwappten, waren die Klippen ausgehöhlt, ein Tunnel, ein Bogen - eine Brücke. Das Licht ließ ihre Dunkelheit aussehen, als sei sie mit einem irisierenden Weiß umrandet, als schneide Feuer ihre Umrisse aus dem Himmel. Die Steinformation glich in Größe und Aussehen so sehr dem Felshügel in der Wüste nahe der Festung, daß Tanaquil überhaupt kein Erstaunen empfand.
    »Möchtest du hinuntergehen?«
    »Ja«, erwiderte Tanaquil. Sie

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