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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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und brennende Wut. »Sie ist die rothaarige Zauberin. Sie hat allerdings keine Schlangen im Haar. In Wirklichkeit ist sie ziemlich schön. Sie erzählte mir, sie habe meinen Vater davongejagt, aber offensichtlich hatte er genug gehabt von ihr. Das erklärt, warum sie sich so eingehend mit dieser Stadt beschäftigt hat, sich gleichzeitig aber weigerte, mir die Stadt richtig zu zeigen oder mich in ihre Nähe zu lassen. Wie hat sie es geschafft, daß er sie überhaupt beachtet hat? Selbst für eine Minute? Sie sind wie Feuer und gefrorener Stein. Natürlich wußte er nichts von mir. Und ich — nun, ich nehme an, ich hatte gewisse Hoffnungen gehegt. Für den Fall, daß ich ihn finden würde.
    Meinen Vater. Lizra, es tut mir leid, aber ich mag ihn nicht. Er bedeutet mir nichts.« »Er würde es auch nicht wollen«, erwiderte Lizra. »Ich weiß es. Es würde ihn nicht kümmern. Du wärst nur eine weitere überflüssige Tochter.«

 
9
     
    Tanaquil und Lizra saßen auf dem Muschelbett und studierten das monströse grüngoldene Ding, das auf einem Gestell vor ihnen ausgebreitet lag. Es dämmerte. Die Palastdiener mußten jeden Augenblick kommen, um die Lampen zu entzünden. Im Licht würde das Zeremonialgewand noch schlimmer wirken. Die sieben Schichten brettsteifer, vergoldeter Spitze standen in Volants vom Rock ab. Das Unterkleid bestand aus Goldtuch, in steife Plisseefalten gelegt. Ein Panzer aus goldenen Schuppen über limonenfarbener Seide bildete das Mieder. Die ebenfalls limonenfarbenen Ärmel lagen hauteng an und wurden von goldenen, mit Smaragden besetzten Reifen gehalten. Ein Stehkragen aus Goldspitze und Malachit ragte aus dem Nacken des Oberteils hervor und zog eine Schleppe aus grüner Seide und Medaillons hinter sich her. Dazu gab es ein goldenes Diadem mit Sternen aus Smaragd. Der bloße Anblick ließ Tanaquil schwitzen und Kopfschmerzen bekommen.
    »Wie willst du dich darin bewegen?« fragte sie. »Wie willst du überhaupt darin atmen ?« »Gar nicht«, antwortete Lizra resigniert. »Letztes Jahr war es schon schlimm genug, aber dies hier stellt alles in den Schatten. Ich werde es tragen müssen. Ich habe keine Wahl. Und morgen ist das Fest. Nun ja, je eher, desto schneller ist es auch vorüber. Du wirst mich doch begleiten, oder?«
    »Natürlich. Was«, wollte Tanaquil wissen, »soll ich denn tragen?«
    »Irgend etwas Protziges, und ein paar Juwelen.«
    Sie saßen da und musterten das Gewand, als die Diener klopften und eintraten, um die Lampen zu entzünden. Das Kleid brüllte grell auf wie ein grüner Tiger.
    Davor hatten sie nicht über das Fest gesprochen. Sie hatten den Bogen wieder durchquert - kreischend, rennend - und hatten den Tag damit verbracht, den Strand entlangzupreschen und die Speisen, die Lizra eingepackt hatte, im Sitzen unter den Palmen zu vertilgen. Das Piefel tauchte ohne Ratten aus dem Ruinenhaus auf und wieselte herum, machte ein- oder zweimal einen aggressiven Ausfall in Richtung Meer, überlegte es sich jedoch jedesmal anders und leitete einen taktischen Rückzug ein. Am Nachmittag bauten sie eine Sandburg. Es wurde ein atemberaubendes Gebäude, bei dessen Errichtung alle ihre Fähigkeiten zum Tragen kamen. Als die Sonne im Westen zu versinken begann, leckten die Wellen schon höher auf den Strand. Sie wußten, daß ihre Burg noch vor dem Beginn der Nacht zerstört werden würde, und fuhren fort, um es nicht mitansehen zu müssen.
    Sie hatten einander von ihrer Kindheit erzählt, von ihren Abenteuern und ihrer Langeweile. Es war ihnen beiden gelungen, nur sehr wenig über den Fürsten und die Zauberin zu sprechen. Wahrscheinlich behielt Lizra gewisse Geheimnisse für sich. Tanaquil erwähnte das Einhorn nicht. Nicht, weil sie gedacht hätte, Lizra würde ihr nicht glauben. Zum ersten Mal in ihrem Leben war Tanaquil jemandem begegnet, der ihre Vorstellungen vollständig teilte, ihr alle Erlebnisse abnahm, nicht versuchte, sie zu beschwichtigen oder ihren Geist zu stutzen. Es war eher, weil Lizra das Einhorn nicht in Frage stellen oder abtun würde, daß Tanaquil ihr nicht davon erzählte. Das Einhorn war Chaos und Unsicherheit, es war kapriziös, beinahe humorvoll - und schrecklich. Es hatte sie gerettet, es hatte ihr Streiche gespielt. Doch das Horn war schärfer als ein Schwert. Seine Augen waren Feuer. Und sie hatte es beschworen, Zauberin oder nicht.
    Es ist mein, im Guten wie im Bösen. Wann würde es wieder erscheinen? Der einst geworfene Widerschein seiner Gestalt schien

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