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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Adlige in dem Streitwagen hinter Lizra. »Was haben sie sich dabei nur gedacht? Eine Beleidigung des Geheiligten Tiers.«
    »Dort, dort, edler Oppit. Das Einhorn sieht nichts mehr.« Gasbs Stimme, scharf wie ein Messer an deinem Rücken.
    »Oh - wie treffend, Lord Gasb.«
    »Das Fest der Segnung hat mit dem Einhorn zu tun«, stellte Tanaquil laut fest. »Natürlich«, entgegnete Lizra.
    Tanaquil wünschte, sie hätte dies vorher gewußt. Irgendwie hatte sie es nicht gewußt.
    Sie dachte an das Piefel in seinem Lager unter ihrem Bett, im Palast. Wenn etwas geschah, was wahrscheinlich war, bestand die Möglichkeit, daß sie nie wieder zurückkehren konnte. Aber Lizra würde sich um das Piefel kümmern —
    Sie kamen nun in die Straße des Seepferdchens.
    Oben auf den Plinthen standen die marmornen Seepferdchen unter ihren Laternen, mit Flossen und gedrehten Schwänzen — und jedes mit einem kleinen, glänzenden Horn auf der Stirn.
    Am Ende der Prunkstraße erblickte Tanaquil in dem Durcheinander von Streitwagen und Prozessionsteilnehmern die tiefblaue Fläche des Ozeans. Der Boulevard endete auf einem Platz oberhalb des Meers. Der Platz war dicht besetzt mit Menschen, und die Prozession brandete gegen sie an, faltete sich auf beiden Seiten zusammen, erlaubte jedoch dem Fürsten und seinem Hofstaat den Durchzug. Vor ihnen tat sich eine hohe Plattform auf. Eine breite Rampe, mit einem purpurfarbenen Teppich ausgelegt, führte hinauf.
    Fürst Zoranders Streitwagen wurde ohne Umwege hinaufgelenkt, und der Rest seines Hofstaats folgte ihm.
    Tanaquil blickte sich um, als Lizras Streitwagen die Rampe erklomm. Der Platz war nun eine solide Masse aus emporgereckten Gesichtern, dicht an dicht wie Perlen in einem Kästchen. Die wilden Tiere knurrten an ihren Leinen, und die Soldaten und Kriegsmaschinen, die tanzenden Mädchen, Musikanten und Clowns, alle quetschten sich noch zwischen diese Gesichter, führten zu einem absoluten Bewegungsstillstand und waren doch immer noch in der Lage, mit den Armen zu wedeln, zu brüllen und Blumen in die Menge zu werfen, und die Ziermünzen reflektierten die Sonnenstrahlen. Und dort war der weiße Schein des alabasternen Einhorns, das sich immer wieder verbeugte.
    »Keine Möglichkeit zu entkommen «, dachte Tanaquil treffend.
    Oben auf der Plattform hielten die Streitwagen an.
    Auf der anderen Seite des Platzes, hundert Fuß tiefer, brannte der Ozean mit blauer Flamme, und der Rest war Himmel, Himmel mit nur einem einzigen kleinen Wolkenfleck.
    Der Fürst stieg von seinem Streitwagen herab. Alle taten es ihm gleich.
    Allein begab der Fürst sich nun in die Mitte der Plattform. Er wandte sich dem Meer zu und hob die Arme, und die Tausende auf dem Platz und die weiter entfernten Massen in den Straßen verstummten. Es war so still, daß Tanaquil das Klacken der goldenen Scheibchen auf den Leinen der Tierbändiger hören konnte. Sie vermeinte das Ticken des Uhrwerks im Kopf des mechanischen Einhorns zu hören.
    Zorander senkte seine Arme wieder. Er stand in seiner dramatischen Einsamkeit im Zentrum der Plattform, und in der Stille und dem zeitentrückten Sonnenlicht kam das Einhorn aus dem Meer auf ihn zu.
    Es mußte einen weiteren Zugang auf der dem Meer zugewandten Seite der Plattform geben, über den das Wesen ihm nun entgegengeführt wurde. Gut dressiert, meisterte es den Aufstieg ohne fremde Hilfe. Es trottete auf Zorander zu, und die Menge raunte leicht, wie Menschen, die angenehm vor sich hin dösten.
    Das Einhorn war nicht echt. Es war ein schlankes weißes Pferd, dem man Opale in Mähne und Schweif geflochten hatte; durch ein Geschirr aus weißen Riemen, das man vermutlich von unten nicht sehen konnte, war ein silbernes Horn auf seiner Stirn befestigt.
    Es schritt geradewegs auf Zorander zu, und der legte ihm eine Hand auf die Stirn, direkt unter das Horn. Die hübsche Attrappe nickte. Und dann kniete sie sich hin, so wie sich ein kluges Zirkuspferdchen hinkniet, und berührte, indem es seinen Kopf senkte, ein-, zwei-, dreimal sanft den Fuß des Fürsten mit seinem Horn.
    Die Menge brach in Jubelrufe und Applaus aus, lachte und pfiff. Sie mußte es wissen, die meisten jedenfalls, daß dieses Wesen kein Einhorn, sondern nur ein Symbol dafür war. Trotzdem waren sie wie entrückt, freuten sich unbändig über das gelungene Ritual. Aus dem Lärm heraus vernahm Tanaquil die Stimme des edlen Oppit hinter sich: »Seht die Wolke — wie seltsam.«
    Wenn auch sonst niemand seiner Aufforderung

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