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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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warum?«
    »Dieser Hexenquatsch. Das Gerücht haftet mir an. Und das Einhorn - irgendwie ist das Einhorn mit mir verknüpft.«
    Das Piefel, das zusammengerollt in Tanaquils Schoß gesessen hatte, spuckte ein Stück Kuchen aus und begann zu knurren.
    Lizra stand auf. »Bleib hier. Ich werde ihn wegschicken.«
    Tanaquil bezweifelte das zwar, widersprach jedoch nicht. Lizra ging hinaus und schloß die Tür. Tanaquil hob das Piefel herunter, ging zur Tür und horchte. Sie vernahm, wie die äußere Tür geöffnet wurde.
    »Oh«, erklang Gasbs unverkennbar ekelhafte Stimme, »ich bitte um Verzeihung. Ich suche das Mädchen aus, ähm, Erm .«
    »Prinzessin Tanaquil«, erklärte Lizra in ihrer offiziellen Stimme, »weilt nicht hier. Aber was soll das bedeuten, mit - drei, vier, fünf, sechs Soldaten vor meiner Tür zu erscheinen?«
    »Tanapattle, oder wie immer sie sich auch nennen mag, ist eine Zauberin. Sie stellt eine Gefahr für uns alle dar, Eure Hoheit nicht ausgenommen. Was zu erkennen Ihr natürlich noch zu jung seid. Ihr magisches Kunststückchen, die Illusion eines Einhorns zu erschaffen, hat die Stadt an den Rand der Zerstörung gebracht ...«
    »Ich habe Euch bereits gesagt, Kanzler«, schnappte Lizra zurück, »daß Prinzessin Tanaquil nicht hier ist. Geht und belästigt jemand anderen.« Es entstand eine Pause. Dann sagte Lizra: »O nein, das tut Ihr n ...« und »Wie könnt Ihr es wagen!«
    Das Stampfen marschierender Soldatenstiefel hallte in dem bemalten Schlafzimmer wider, gefolgt von Gasbs schlurfenden Schritten.
    »Dort drin?« sagte Gasb.
    »Mein Vater wird sehr erzürnt sein«, erklärte Lizra.
    »Euer Vater teilt meine Meinung, daß die Hexe ergriffen werden muß.«
    Tanaquil trat einen Schritt zurück, so daß die Wachen, wenn sie die Tür aufstießen, sie nicht zu Boden werfen würden. Sie postierte sich in der Nähe des Kamins, und das Piefel ging vor ihr in Verteidigungsstellung, ein fauchender, gegen den Strich gekämmter Mop.
    Die Tür wurde schwungvoll aufgestoßen, und sechs Soldaten stürmten das Zimmer, die Speere auf Tanaquils Herz gerichtet. Der Kopf schwirrte ihr. Sie dachte: »Wenn sie wüßten, wie sie dabei aussehen, würden sie es nie wieder tun.«
    Gasb wand sich hinter ihnen her ins Zimmer. Er trug keinen Hut. Sein Schädel war ziemlich kahl, und auch ohne Kopfbedeckung glichen seine Züge denen eines Raubvogels.
    »Nur Mut, Männer«, sagte er.
    Leise flüsterte Tanaquil dem Piefel zu: »Ich werde das Fenster öffnen. Spring auf das Dach darunter und renn weg.«
    »Bleiben und beißen«, meinte das Piefel.
    »Der Beweis ihrer Hexenkünste«, zischte Gasb den nervösen Soldaten zu. »Ihr habt gehört, daß das Tier gesprochen hat. Ein Vertrauter. Wir müssen ihrer auf der Stelle habhaft werden, bevor sie Dämonen zu ihrer Hilfe zu beschwören vermag.«
    Lizra erklärte in ihrem aufgesetzten, penetrant königlichen Ton: »Bevor ihr Hand an sie legt, denkt daran, daß sie die Prinzessin einer fremden Stadt ist. Legen wir Wert auf einen Krieg?«
    »Prinzessin.« Gasb lächelte. »Sie ist genausowenig eine Prinzessin wie diese Straßenkehrerschlampe.«
    Tanaquil hatte sich unbemerkt in Richtung des Fensters gestohlen, während das Piefel sich neben ihr entlangschlängelte. Dann ragte ein Soldat vor ihr auf. »Nein, Lady«, sagte er scharf.
    »Haltet euch nicht damit auf, sie Lady zu nennen. Zingelt sie ein. Wir werden sie an einen ... ruhigeren Ort bringen.«
    Tanaquil registrierte fassungslos Gasbs unverhüllte, blanke Boshaftigkeit. Sie hatte Angst vor ihm und fühlte sich deshalb gedemütigt. Die Soldaten hatten Schwerter; sie packte das Piefel, das ganz aus dem Häuschen war. Und in diesem Augenblick drang ein gesetzloser und unirdischer Schrei, der mit nichts zu vergleichen war, was sie jemals gehört hatte, durch den gesamten Palast, durch jedes einzelne Stockwerk. Sie wußte, was es war, auch wenn sie gleichzeitig wußte, daß es unmöglich war, es auf diese Weise zu hören.
    »Der Fürst!«
    Die Soldaten waren wie entrückt. Sogar Gasb riß den Mund auf. »Hat es meinen Vater getötet?« fragte Lizra.
    Und Tanaquil erblickte irgendwie, irgendwo in ihrem Geist Zorander in seiner Bibliothek über dem Schnee, wo die mechanischen Schmetterlinge auf ungelesene Bücher flatterten. Sie erblickte ihn, wie er vor Schreck versteinerte. Und auf der Türschwelle, von der Dachlandschaft aus Regen und Donner und Blitz gekommen, die schwarze Nacht und das mörderische Horn und die Augen wie

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