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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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voran.
    Die Soldaten legten ihre Armbrüste an.
    Das schwarze Einhorn sprang von der Plattform, und als es wieder auf allen vieren gelandet war, prasselte ein Bolzenregen aus den Armbrüsten auf es ein.
    Die Bolzen trafen das Einhorn. Sie prallten auf seine Schwärze, und Feuerpfeile blitzten auf, und die Bolzen wurden abgelenkt, zersplitterten wie spröde Zweiglein. Überall um das Einhorn herum lagen die Bolzen verstreut, und in seiner Mähne und seinem Schweif hingen sie wie böse Blumen.
    Alle Welt gab nun Fersengeld.
    Tanaquil und Lizra klammerten sich aneinander und wurden beide gleichermaßen niedergetrampelt. Füße in Waffenstiefeln sprangen über sie hinweg, verletzten sie leicht, Räder verfehlten sie um wenige Zentimeter. Schwere Seide und Verzierungen aus Gold peitschten ihnen ins Gesicht. In Furcht und Erstaunen schützten sie schluchzend und fluchend ihre Köpfe, bis die panische Flucht vorüber war und sie dort zurückließ wie Treibgut am Strand.
    Sie setzten sich mit weißen Gesichtern auf und wischten sich wütend die Tränen aus den Augen, schlimmer als die Soldaten fluchend. Sie waren allein auf der Plattform, allein im Regen. Trümmer bedeckten den Teppich. Armbrustbolzen, Armreifen, Umhänge und Kanzler Gasbs Seeadlerhut. Ein Streitwagen stand dort, verlassen und ohne Zugtiere.
    Unter ihnen drängelte sich die versprengte Menge immer noch auf dem Platz, doch die Streitwagen hatten sich ihre Schneisen geschaffen und waren durchgekommen. Ein Einhorn war nicht zu sehen. Nicht ein einziges Einhorn weit und breit.
    »Mein Vater hatte Angst«, stellte Lizra fest. »Und er hat mich im Stich gelassen.«
    »Ja«, pflichtete Tanaquil ihr bei. Sie dachte daran, wie Jaive sie in der Wüste alleingelassen hatte, um zu sterben. Doch Jaive hatte wenigstens noch gewisse Gründe dafür gehabt.
    Sie erhoben sich. Der ganze Himmel war mittlerweile so purpurn wie der Teppich. Der Donner schlug seine Trommeln, und der Regen war dickflüssig wie Öl geworden.
    »War es wirklich echt?« fragte Lizra.
    »Es war wirklich echt.«
    »Nicht noch so ein Pferd, dem man ein silbernes Horn an die Stirn geschnallt hatte.« Tanaquil erwiderte nichts. »Und die Armbrustbolzen haben es nicht verwundet. Vielleicht haben die Männer absichtlich danebengeschossen - wie konnten sie es wagen, auf das Geheiligte Tier zu feuern?«
    »Du hast doch gesehen, was geschehen ist«, widersprach Tanaquil.
    »Dann stimmt es, daß wir ihm Unrecht getan haben«, sagte Lizra. »Es hat noch eine Rechnung zu begleichen. Ist es den Streitwagen gefolgt?«
    »Vielleicht.«
    Doch Tanaquil stellte sich vor, daß das Einhorn wie Rauch durch des Tages Dunkelheit glitt, durch den sintflutartigen Regen. Die fliehenden Menschen erblickten ihr Geheiligtes Tier und duckten sich schreckerfüllt nieder. In der höchsten Wand mußte es eine Tür geben. Soldaten würden ihre Schüsse abgeben und fliehen. Die Spitze des Horns konnte Holz wie Glas zersplittern lassen. Dann die Rampen zum Palast hoch, über das Dachgebirge aus drachenförmigen Ziegeln. Blitze und das Einhorn tanzten zusammen, hoch oben auf Zoranders Palast.
    »Sieh dir nur diesen blöden Hut an«, bemerkte Lizra und kickte den Seeadler beiseite. Die Tableaus standen dümmlich auf dem Platz herum, während die letzten Reste der Menge an ihnen vorbeifluteten. Das nickende weiße Tier war vornübergekippt.
    Nach einer Weile, als der Platz sich endgültig geleert hatte, stiegen die beiden Mädchen von der Plattform hinab. So fehl am Platze, wie sie in ihren derangierten, juwelenbesetzten Seidengewändern wirkten, kümmerte sich niemand um sie, bemerkte sie keiner. Der Sturzregen und Donner vereitelten ohnehin jede Anstrengung. Die Menschen auf den Straßen rannten oder suchten unter Vordächern Schutz. Wehklagen und Jammern ertönten. In der Luchsstraße dann begegneten sie einer Abteilung Soldaten, die sie erkannten. »Da sind ja die beiden Prinzessinnen!« Danach hatten sie eine Eskorte zum Palast.
    Wäre das Klopfen etwas weniger laut gewesen, hätten sie es für Donner halten können. Doch sie hatten auch Schwerterklirren und Speereklappern im Korridor gehört.
    Sie hatten in dem Rosenraum gesessen, an dem zinnoberroten Kamin, in dem ein Feuer entzündet worden war, um Kälte und unfrohe Gedanken zu vertreiben. Die elende Spannung mußte durch irgendein bedeutungsschweres Ereignis durchbrochen werden. Und hier kam es.
    »Nur Gasb würde eine Leibgarde mitbringen.«
    »Sie wird für mich sein.«
    »Aber

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