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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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geschmolzene Lava. »Ergreift die Hexe! Sie muß auf der Stelle sterben!« kreischte Gasb mit schriller Stimme. Die Soldaten zogen ihren Kreis enger um sie.
    Durch die Luft kam ein rauschendes Pfeifen. Es war ein Blitzschlag, der auf den Palast niederfuhr, auf eben dieses Zimmer niederfuhr — die Soldaten stoben auseinander. Tanaquil warf sich flach über das Piefel und rollte sich mit ihm neben das Bett. Der Kamin ächzte und bellte. Und die züngelnden Flammen — gefroren. Die Flammen waren Speerspitzen aus gelbem Eis.
    Alles kreischte. Der Blitzstrahl traf in die Feuerstelle, und Eis und Ruß und Ziegel und Kohlen spritzten beiseite, während der Raum in seinen Grundfesten erbebte und Stuck von der Decke bröckelte.
    » Dämonen!«
    Dabei war es nur einer. Tanaquil blickte auf und sah, daß ein Ding mit zwei Köpfen, Elephantenohren und Froschaugen auf seinem gewaltigen Bauch und fetten Schwanz; im Kamin hockte.
    »Komm«, sagte Epbal Enrax, der Kältedämon, und Frostrisse sprangen die Wände hinauf. Er streckte Arme aus, die Elephantenrüsseln glichen, und hob Tanaquil und das Piefel, das alle verfügbaren Krallen ausgefahren hatte, in die Lüfte empor . »Rothaar, wir gehen jetzt «, meinte Epbal Enrax. Und das taten sie dann auch.

 
DRITTER TEIL
     
10
     
    Unter dem stürmischen Himmel toste und blubberte das Meer wie flüssiges, mauvefarbenes Kupfer. Die Farben der Dinge waren verfälscht. Der Sand sah aus wie die Schlacke eines furchtbaren Feuers. Die Palmen waren schwarz und ächzten im Wind. Der Strand schien nicht von dieser Welt zu sein, sondern zu einem anderen Universum zu gehören, das eine Art Hölle sein mußte. Und aus der Schlacke und den Wogen von Flüssigkupfer erhoben sich die Felsen wie das Gerippe eines versteinerten Ungeheuers.
    Von der Düne aus, auf der sie gelandet war, überblickte Tanaquil die Szenerie. Schon zuvor hatte man ihr von Dämonenritten berichtet, doch hatte sie persönlich noch nie einen erlebt. Die Luft war ihr aus den Lungen gepreßt worden, doch fühlte sie sich eher verwirrt als schockiert. Sie begriff sehr wohl, daß sie vor dem mehr als wahrscheinlichen Tod durch die Hände von Gasbs Soldaten errettet worden war. Sie hatte eine getrübte Erinnerung daran, durch einen Kaminschacht hinaufgefahren zu sein, von Tausenden von Dächern unter sich, Blitzstrahlen wie Speere und einem Abstieg in so etwas wie einem Wirbelwind. Sie begriff, daß es sich bei diesem unwirtlichen Ort um den Meeresstrand handelte, und durch die Explosionen von braunroter Gischt hindurch machte sie den Einhornbogen aus, das Heilige Tor. Das Piefel hockte dicht neben ihr, von einem mittelschweren Putzanfall erfaßt. Tanaquil blinzelte hinter sich. Epbal Enrax balancierte auf den Dünen, offensichtlich bis zum Becken in Sand versunken. Er schien erfreut - Mauve war natürlich die Lieblingsfarbe des Dämons.
    »Wer hat dich geschickt, mich abzuholen?« fragte Tanaquil. Ein Dämon konnte von jedem, der mächtig genug war, gerufen und beschworen werden. Beunruhigende Bilder von Vush und den anderen Kunsthandwerkern, die sich eines Zauberers Dienste erkauften, glitten vor ihrem geistigen Auge entlang.
    Doch Epbal Enrax beruhigte sie: »Die andere Lady Rothaar. Dort drüben!«
    Dort drüben stand etwas auf den Wellen.
    Tanaquil hatte es zunächst für ein Phantasieprodukt des Wetters gehalten, eine Wolke, einen Wasserschwall. Nun erhob sie sich langsam und begann, auf den unruhigen Wellensaum zuzugehen. Das Piefel machte Anstalten, ihr zu folgen, entschied sich dann jedoch anders und begann, sich ein Loch im Sand zu buddeln.
    Das Ding auf dem Meer waberte wie eine Flamme. Es hatte eine feurige, rote Spitze.
    Die Flut war merklich gestiegen, und mit den Wellen driftete auch die Erscheinung landeinwärts. Etwa zehn Fuß vom Strand und damit von Tanaquil entfernt hielt sie an. Sie verdichtete sich, nahm Gestalt an. Nach einer halben Minute stand die Zauberin Jaive auf dem Wasser. Ihr Haar peitschte wie verrückt um ihren Kopf, wie ein scharlachroter Miniaturschneesturm. Sie war in einen aufwendigen schwarzen Mantel gehüllt, der mit Heuschrecken aus Silber und Jaspis übersät war. Ihr Antlitz war grimmig. Sie schwieg.
    »Mutter«, sagte Tanaquil.
    »Ja, das stimmt«, begann nun auch Jaive. »Ich bin deine Mutter.«
    Nach diesem wenig aussagekräftigen Wortwechsel stemmten sie sich beide dem Sturm entgegen und starrten einander an.
    Schließlich setzte Tanaquil steif an: »Also hast du dich doch noch dazu

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