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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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entschlossen, mich zu suchen. Ich dachte, es würde dich nicht kümmern. Ich meine, nachdem du mich in der Wüste alleingelassen hattest und so weiter.«
    Jaive blickte finster drein. Ihre Augen sprühten Funken. »Törichtes Kind! Wenn du auch nur annähernd die Probleme ahnen könntest, mit denen ich zu kämpfen hatte!« »Du tust mir ja so leid.«
    »Das Einhorn — wenn ich begriffen hätte — die Magie, das Geheimnis - ich dachte, es sei nur eins von deinen Spielzeugen, geschickt zusammengesetzt aus Kristallteilchen, Knochen, Rädchen und Schrauben, deinem üblichen mechanischen Krimskrams.«
    »Ich mache keine Dinge, ich repariere sie nur«, erklärte Tanaquil. Jaive winkte ab. Die See kräuselte sich und leckte an ihren Füßen. »Ist es übrigens nötig, daß du auf dem Wasser stehst?«
    »Stehe ich?« Jaive sah um sich. »Das bin ich nicht. Es ist nur eine Projektion von mir. Mehr bringe ich im Augenblick nicht zustande. Meine Zauberkunst hat arg gelitten. Hätte ich es nur gewußt - hätte ich, eine erfahrene Meisterin der magischen Künste, wohl jemals meine geballte Macht auf ein wirkliches Einhorn geschleudert? Der Schaden, der meinen magischen Fähigkeiten zugefügt wurde, war enorm. Erst jetzt beginne ich langsam, meine einstigen Kräfte zurückzugewinnen.«
    »Ich verstehe«, versetzte Tanaquil. »Du willst mir sagen, daß du nicht früher nach mir gesucht hast, weil du es nicht konntest. Es war also nicht bloßes Desinteresse oder Rachsucht?«
    »Wie kannst du es wagen, an den Worten deiner Mutter zu zweifeln?«
    »Das ist nicht schwer.«
    Jaives Gesicht faltete sich auf, und ein Flackern überlief ihre Projektion. Tanaquil war sich nicht sicher, ob dies seinen Grund in fehlgerichteter Magie, Wut oder sonst etwas hatte.
    »Ich will gar nicht«, fuhr Jaive nach einer Weile fort, »davon anfangen, daß du in diese Stadt gezogen bist. Ich will auch nichts zu dem Palast sagen, in dem ich dich ausfindig gemacht habe.«
    »Zoranders Palast«, sagte Tanaquil. Jaives Abbild faltete sich auf, verwirbelte. »Es tut mir leid. Hättest du mir doch nur vertraut ... ich weiß es, ich meine, ich weiß ...«
    »Dieser Mann ist dein Vater«, rief Jaive. Inmitten all der Falten und Wirbel schien sie nun vollständig in Flammen zu stehen. »Ich habe ihn davongejagt.«
    »Ja, Mutter.«
    Jaive hörte auf zu schreien, und die Falten und Wirbel glätteten sich allmählich wieder. »Ich kann dein Benehmen vergessen«, setzte Jaive hinzu, »weil ich weiß, daß es das Einhorn war, das dich hierher gebracht hat — und daß es deine Hilfe braucht und verlangt.«
    Tanaquils Gefühlsverwirrung löste sich und ließ nur noch eine Frage übrig. »Warum? Was will es? Mutter, sag es mir!«
    Jaive lächelte. Es glich keinem der Lächeln, die Tanaquil jemals auf dem Gesicht ihrer Mutter gesehen hatte. Sie ist wirklich schön, diese gräßliche Frau.
    »Ich habe bis jetzt gedacht, du seiest seine Tochter«, sagte Jaive. »Von den Dingen besessen, von mechanischem Schnickschnack. Doch du gehörst mir. Tanaquil, du bist eine Zauberin.«
    »Wieder die alte Leier«, seufzte Tanaquil ungeduldig. »Natürlich bin ich das nicht.« »Deine Zauberkunst«, sprach Jaive gnadenlos weiter, »liegt in deiner Fähigkeit, zu reparieren. Du kannst alles reparieren. Und wenn du es einmal repariert hast, geht es nie wieder entzwei. Seit du ein kleines Kind warst, habe ich dich dabei beobachtet, aber nie bin ich auf den Gedanken gekommen, daß es nicht ein kalter Kunsthandwerkertrick ist, sondern wahre Magie sein könnte.«
    » Mutter !«
    Jaive hob gebieterisch die Hand. »Denk nach, und antworte mir ehrlich. Wenn du etwas reparierst — eine Uhr, eine Armbrust, eine Puppe —, was tust du dann?« »Ich — sehe es an. Und dann ergreife ich die geeigneten Werkzeuge — und ich ...« »Wie findest du den Defekt heraus? Woher weißt du, welches Werkzeug ihn beheben wird? Wer, Tanaquil, hat dich das gelehrt?«
    »Niemand. Ich kann es einfach, Mutter.«
    »Als ich zehn war«, fuhr Jaive fort, »beschwor ich einen kleinen Kobold aus einem Kessel. Sie fragten: >Wie hast du das gemacht? Wer hat es dir beigebracht?<- Ich antwortete: >Niemand. Ich kann es eben.<«
    »Mutter ...«
    »Genug Zeit verschwendet«, befand Jaive. »Das Einhorn kam zu dir, weil es deine Magie roch und wußte, wie sie ihm dienen konnte. Es erschien als Knochen, als zerbrochenes Gerippt, und du hast es repariert, hast es wieder gehen gemacht. Mein eigener gedankenloser Magiestrahl war

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