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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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von drei oder auch fünf Herzschlägen ein ... Denn dies war geschehen, als sie auf das Tor getroffen war, ein Tor, das nun nirgendwohin mehr führte, da es zerborsten war. Während sie sich so langsam vorwärts tastete, alle Fasern ihres Wesens wie eine Bogensehne gespannt, streifte sie am Rand dieser Fremdheit entlang und schreckte sofort zurück. Da . Unverkennbar. , Aber — was nun?
    Nichts war zu sehen außer den verschwommenen Felsen, die aus dem Wasser aufstiegen, und, auf der anderen Seite des Bogens, Sand und die aufziehende Dunkelheit.
    Zerrissene Bänder. Sie hatte sie um sich fließen gespürt, als sie und Lizra gerannt, hindurchgegangen und wieder zurückgekommen waren.
    Mit höchster Vorsicht, als versuche sie, ein Spinnennetz nicht zu zerstören, schob Tanaquil die Arme hinein in die leer Luft.
    Und etwas strich an ihr vorbei, wie ein Geist.
    Es war ihr unangenehm. Sie zog ihre Arme zurück.
    Sie dachte: » Jaive ist immer noch mehr Zauberin als Mutter. Ihr ist das Einhorn wichtiger als ich.« Sie dachte: » Ich kann einem Einhorn nicht helfen.«
    Tanaquil ließ ihre Arme wieder in jenes unsichtbare Etwas gleiten, das zwischen den Felsen hing. Die leichte Berührung war wieder da, und diesmal holte Tanaquil ihrerseits aus und griff zu.
    Ihre Finger prickelten, aber nicht unangenehm. Die Elemente im Inneren der Luft glichen nichts, was sie jemals berührt oder behandelt hatte.
    Das macht nichts . Sie versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, was geschah, wenn sie ins Gehäuse eines Schlosses, einer Spieldose, eines Rades, der zerfetzten Schlange im Basar schaute. Dann gab sie es auf. Immer noch die erste unnennbare Fremdheit festhaltend, tastete sie sich entlang des Luftnetzes auf die nächste zu. Sie schloß die Augen, und hinter ihren Lidern erblickte sie einen Umriß in Form eines silbernen Stabes. Sie legte ihn flink um und hängte ihn an einen goldenen Ring.
    Ihre Hände bewegten sich in tranceartiger Symmetrie. Gegenstände oder Illusionen fluteten ihr entgegen, und sie schnappte sie sich und fügte sie zusammen.
    Sie benötigte keinerlei Hilfsmittel — nur ihre Hände. Vielleicht ihre Gedanken.
    Nicht wie eine Uhr oder eine Maschine. Hier war alles ein einziges Fließen, wie Blätter auf einem Teich.
    Sie schien ihre Umrisse zu erahnen, glaubte aber dennoch nicht zu sehen, was wirklich dort war — und doch war das, was dort war, sicherlich ebenso bizarr wie ihre Vorstellungen von Stäben und schlanken Nadeln, Ringen und Scheiben und Spiralen und Biegungen, wie die Buchstaben eines unbekannten Alphabets.
    Vermutlich mache ich es falsch.
    Sie öffnete die Augen und konnte nicht die geringste Veränderung wahrnehmen, außer, daß die Dunkelheit nun mit Riesenschritten näherzog.
    Das Einhorn glomm schwarz vor den Felsen, einhundert Fuß entfernt. Die Wogenkämme spiegelten blaß einen wolkenerstickten Mondaufgang wider.
    Sie schloß die Augen und erblickte erneut das wabernde, gold-silberne Chaos des Tores, das einem halbaufgefädelten Kollier glich.
    Plötzlich wußte sie, was sie tat. Es war nicht falsch. Es war anders als alles, und doch war es richtig. Sie ergriff einen mäandernden Stern und schickte ihn heim —
    Sie hatte schon Zweifel gehegt, ob sie, in solcher Fremdheit arbeitend, auch wissen würde, wenn das Werk beendet wäre. Würde das Tor dann vollständig repariert aussehen — oder sich doch nur in irgendein anders phantastisches Muster verwandelt haben, mit dem man für immer spielen, das man in alle Ewigkeit neu formen könnte?.
    Es war, als erwache man aus tiefem Schlaf, sanft und doch vollständig, ohne ein Gefühl der Orientierungslosigkeit.
    Sie trat zurück und ließ die Arme sinken, die Augen immer noch geschlossen.
    Das Tor war ganz. Es war wie eine Galaxie - wie Schmuck - wie - wie nichts auf dieser Welt. Doch seine Vollständigkeit war augenscheinlich. Es war ein zerborstenes Fenster, dessen Splitter alle wieder ihren angestammten Platz eingenommen hatten. Es gab keinen Zweifel.
    Dann öffnete Tanaquil ihre Augen und sah schließlich das Tor. Sah es, wie es nun in ihrer Welt war, sichtbar.
    Man konnte nicht mehr durch den Felsbogen hindurchgucken. Eine dunkle, glühende Membran füllte ihn aus, die eine aufrecht stehende Wasserwand sein mochte, und durch diesen Stoff rannen Flitterfunken, die elektrisiert an- und ausgingen.
    Tanaquil fürchtete sich nicht davor, war jedoch vorsichtig. Sie wich noch ein paar Schritte zurück. Und runzelte die Stirn.
    Was war es nur?

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