Das Mädchen und das schwarze Einhorn
Einhorn zu besänftigen«, erläuterte Lizra wie eine Schlafwandlerin.
»Schön, doch wie ich bereits sagte, ist es fort. Wieder zurück durch das Geheiligte Tor.« »Wenn das wahr ist, wird mein Vater jubeln.«
»Das wette ich auch. Übrigens, wenn du einen weiteren Beweis willst, schau dort unten hin!«
Lizra drehte sich um. Das Piefel entstieg schnaufend und niesend einem Sandloch. Als es Lizras ansichtig wurde, stürzte es auf sie zu. Lizra sank in die Knie und warf die Arme um das Tier. Das Piefel schien überrascht, aber nicht beleidigt zu sein. Es leckte Lizras Wange.
Tanaquil hatte ihre Aufmerksamkeit der Menge am Strand zugewandt. Die Höflinge standen tatenlos herum, glitzernd und gaffend. Doch unter den Streitwagen auf der Straße ließ sich ein Wirbel wenig vielversprechender Bewegung ausmachen.
Lizra erhob sich. »Gasb ist hier. Vater hat ihn mit der Eskorte ausgeschickt.«
»Reizend«, meinte Tanaquil.
Männer rannten, ganz schimmerndes militärisches Gold, aus Richtung der Straße herbei. Die Sonne ließ Speere, Lanzen, Armbrüste und Bogen deutlich hervortreten.
Und auch Gasb, der ihnen mit einem Habichtskopf folgte.
Über den Sand vernahm sie seine verhaßte Stimme wie in der Erinnerung.
»Die Hexe ist zurückgekehrt. Sie sucht das Tor des Geheiligten Tiers heim! Haben uns die Fischer nicht berichtet, daß die letzten drei Tage zauberische Feuer im Tor brannten, daß sie aus Furcht einen weiten Bogen darum gemacht haben?«
»Drei Nächte«, überlegte Tanaquil. »Ich war doch nur einen einzigen Tag fort .«
Sie setzte sich auf der Klippe auf. Etwas in ihr warnte sie, bleib flach liegen. Doch selbst jetzt konnte sie die Waffen nicht ganz ernst nehmen. Würde Gasb sie in aller Öffentlichkeit, vor all diesen Leuten, töten? Er würde es.
»Das Einhorn ist ...«, rief Tanaquil-»Laßt gar nicht erst zu, daß sie einen Zauber spricht!« kreischte Gasb. »Bringt sie zum Schweigen!« Und plötzlich, einfach so, sah Tanaquil den Speer, der ihr Tod sein sollte, durch das Sonnenlicht auf sie zufliegen. Denn für einen geübten Speerwerfer war die Entfernung die Klippen hinauf ein Nichts. Und sie gab, wie sie dort oben vor dem Himmel saß, ein exzellentes Ziel ab. Es war, als habe sie all dies bereits gründlich durchdacht und helfe ihnen nun, helfe dem Mann und dem Speer. Sie sah ihn kommen, zu ihr hochsegeln, wie an der Schnur gezogen, auf ihr Herz zu. Sie sah ihn, stellte sich vor, ihm seitwärts auszuweichen, doch obwohl der Speer scheinbar langsam angeflogen kam, war sie doch noch langsamer. Und im letzten Augenblick tanzte die Speerspitze vor ihren Augen und blendete sie mit dem Widerschein der Sonne.
So sah sie es also nicht, hörte nur, wie eine Art splitterndes Zischen erklang. Sie hatte eine Vorstellung von Feuerwerk und Holzsplittern. Die Höflinge auf dem Strand unten kreischten lauthals.
Dann konnte sie wieder sehen. Der Speer, zerfetzt, trudelte die Klippe hinunter. Bürger, denen gerade eine dringende Verabredung eingefallen zu sein schien, hasteten in Richtung Straße, fielen in den Sand, rappelten sich wieder hoch.
Der Speer mußte etwas getroffen haben, irgendein Hindernis, kurz bevor er sie erreicht hätte.
Gasb war zurückgewichen. Sein Hut flatterte im Wind. Er wollte die Soldaten zu einem erneuten Angriff anstacheln, doch die standen nur mit offenen Mündern am Fuße der Klippe und gafften den heruntergefallenen Speer und Tanaquil an. Der Mann, der den Speerwurf ausgeführt hatte, brabbelte Unverständliches vor sich hin. Inmitten dieser Szene kam das Piefel aus seinem Versteck am Klippenfuß hervor und biß ihn ins Bein, herzhaft durch den Stiefel hindurch. Der Soldat heulte auf und versetzte, vielleicht instinktiv, dem Piefel einen bösen Tritt mit dem verletzten Fuß.
Tanaquil war nun Augenzeugin. Der tretende Fuß traf statt des Piefels irgend etwas in der Luft. Es war unsichtbar, aber wirkungsvoll. Der Soldat wurde fortgeschleudert, als habe ihn ein Gegner mit ungeheuren Körperkräften hochgehoben und von sich geworfen. Dreißig Fuß von dem Piefel entfernt landete er mit einem furchtbaren Aufprall im Sand und bewegte sich fortan nicht mehr.
Das Piefel machte sich fein. Es schien sich nicht mit Fragen herumzuplagen, sondern beobachtete mit augenscheinlicher Schadenfreude, wie die anderen Soldaten auseinanderstoben und in ihre Streitwagen stürzten, während Ströme von Höflingen neben ihnen winselnd und strauchelnd in Richtung Stadt rannten.
Nur Gasb blieb
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