Das Mädchen und der Schwarze Tod
hält sie sich?«
Gab es Worte, um das zu beschreiben, was sie gesehen hatte? Marike funkelte ihn zornig an. Wie sollte es Lyseke wohl gehen? Sie wollte Notke anbrüllen, wollte, dass er dieselben körperlichen Schmerzen empfand wie sie, als sie die Freundin gesehen hatte. Doch allein die Erinnerung schnürte ihr die Kehle zu.
Notke erkannte ihren Zustand sofort. Er legte ohne zu fragen seine Arme um sie und zog sie an sich, obwohl sie sich spröde und steif dagegen wehrte. Mit dem einen Arm hielt er sie fest an seine Brust gedrückt, mit der Hand des anderen strich er ihr immer wieder über das Haar. Erst als Marike den Mund öffnete, um Notke von Lysekes Zustand, ihrer Hoffnungslosigkeit zu erzählen, von ihrem Fieber und den Beulen an ihrem Bein, da vergrub sich Marike verzweifelt in der Umarmung Notkes und weinte, bis sie nicht mehr stehen konnte und er mit ihr langsam an der Wand in eine sitzende Position glitt, beide fest umschlungen. Marike krallte sich an den Maler, als wäre er der einzige Halt in dieser um sie herum zerfallenden Welt.
Es erschien der Kaufmannstochter wie eine halbe Ewigkeit, bis sie wieder durchatmen konnte. Er gab ihr noch ein paar Momente, um ihre Fassung wiederzuerlangen. »Marike«, hob Notke dann leise an. »Ich habe einen Plan.«
»Einen Plan?«, fragte sie matt.
Bernts Stimme klang angespannt. Er hielt sie immer noch im Arm und streichelte ihr über den Kopf. »Oldesloe denkt, er hat mich in der Hand.«
»Nun«, Marike schluckte schwer, den Kopf an seiner Schulter, »das hat er ja auch, oder?«
»Gewissermaßen«, bekannte der Maler. »Aber wenn er denkt, dass ich ihm gehöre, können wir das zu unserem Vorteil nutzen!«
»Wie das?«
»Wir brauchen Beweise. Und die kann ich nur beschaffen, wenn ich in seiner Nähe bleibe. Dort kann ich ihn beobachten, kann vielleicht rechtzeitig das nächste Opfer ausmachen. Irgendetwas muss es geben! Ich werde es finden, und dann können wir ihn endgültig vernichten.« Er schaute grimmig zu ihr herab. »Wenn wir mit ihm fertig sind, zählt sein Wort beim Fron nicht mehr genug, um eine Ratte an den Galgen zu bringen.«
Obwohl im ersten Moment alles in ihr dagegen revoltierte, musste Marike zugeben, dass Bernt recht hatte. Er wäre am sichersten, wenn er tat, was Oldesloe wollte. Und gleichzeitig konnte er dort Beweise suchen. Vielleicht fände er auf diese Weise sogar das verräterische Holzbuch. Sie nickte widerwillig. »Aber du bist dir doch im Klaren, wie gefährlich das ist? Wenn er es herausfindet, schlägt er dir den Schädel ein.«
»Ja«, murmelte Notke. »Das stimmt wohl.« Sie schwiegen bedrückt. Gab es einen anderen Weg? Laute Schritte näherten sich. Die beiden lösten sich voneinander und sprangen schnell auf.
»Herrin?«, fragte Frederik in die Dornse, verdutzt, sie hier in Gesellschaft eines fremden Herrn zu finden. »Wir sollten gehen!«
»Sicher.« Marike versuchte ein kleines Lächeln. Sie machte einen förmlichen Knicks zum Maler. Als sie einander in die Augen sahen, da wussten sie, dass ihr Plan feststand. Gefahr hin oder her, es gab keinen anderen Weg. »Passt auf Euch auf, Herr Notke«, bat sie noch. Der nickte bloß. Doch als Marike kurze Zeit später mit dem Knecht des Vaters die Straße hinaufging, das Essigtuch wieder vor Mund und Nase gepresst, da fürchtete sie, den Maler nie wieder zu sehen.
»Ist Euch nicht wohl, Herrin?«, fragte der Mann, und Marike musste beinahe lachen. Frederik besaß das Einfühlungsvermögen eines Zugochsen.
»Es geht mir gut«, erwiderte sie rau. Sie wollte einfach nur nach Hause, in ihr Bett, und sich vor der Welt vergraben.
Sie kamen an dem Durchgang vorbei, an dem sie den kleinen Felix vorhin über seiner zerborstenen Flasche gefunden hatten. Etwas ließ Marike innehalten. Sie warf besorgt einen Blick hinein. Die Reste der Korbflasche lagen noch immer dort. Sie wollte schon weitergehen, da sah sie hinten bei der Öffnung eine kleine Gestalt liegen. Sie verhielt ihren Schritt und ging hinein.
»Felix?«, fragte sie leise. Tatsächlich rührte sich das Bündel, und ein roter Haarschopf erschien. Der Junge weinte nicht mehr, doch seine Augen wirkten noch gerötet. Er musste die ganze Zeit hier gelegen haben, die Hand noch um den Dreiling geklammert, den sie ihm gegeben hatte.
»Willst du nicht nach Hause gehen?«, fragte Marike sanft. Doch der Bursche schüttelte den Kopf.
»Glaubst du, dein Vater wird zornig sein?« Wieder ein Kopfschütteln, doch die Frage brachte Felix
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