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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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nach Verwesung stank. Er sah sich um. »Viel werte Seele, halt dich wert«, brummelte er wieder, denn er hatte vergessen, wie das Lied weiterging. Er winkte mit einer Hand abfällig ab – wen außer seiner Frau interessierte das auch? Die Alte beschwerte sich immer lautstark, wenn er wieder und wieder nur die erste Liedzeile wiederholte. Ach, sie beschwerte sich ja eh über alles, was er tat. Doch Krontorp war es zufrieden. Sein Leben war gut, wie es war, und würde die alte Hexe nicht mehr kreischen, er würde es vermissen.
    Endlich fand der Küster die Ursache des Gestankes: Eine Schwalbe hatte sich in den Turm verirrt und war hier gestorben. Der kleine Vogelhals stand in einem komischen Winkel ab; vermutlich hatte sie sich an einer Wand das Genick gebrochen. Krontorp beugte sich nieder, um sie aufzuheben. Als er sich wieder aufrichtete, lag ihm ein raues Seil um den Hals. »Hä?«, machte Krontorp verständnislos und sah auf seine Brust hinunter. Da straffte sich das Seil auch schon und schlang sich ihm um die Kehle, riss ihn empor und von den Füßen. Er hing am Seil der großen Glocke, die ihn in einem großen Satz nach oben zog!
    »Gchgchgch!«, machte Krontorp, dabei hatte er eigentlich schreien wollen. Er ruderte mit Armen und Beinen und spürte, wie sein eigenes Gewicht ihn wieder auf den Boden der Glockenstube zog. Der Druck auf dem Hals ließ aber kaum nach. Über ihm dröhnte die riesige Pulsglocke einmal kurz – nicht wirklich angeschlagen, doch immer noch laut genug, sodass man es in ganz Lübeck hören musste. Das würde doch sicher jemandem merkwürdig vorkommen, denn er läutete doch sonst recht zuverlässig! Krontorp fingerte panisch an dem Seil um seinen Hals, um sich zu befreien, bevor – »Krrch!«, ächzte Krontorp, denn es war zu spät. Das Gewicht der Glocke, die sicher mehrere Hundert Male schwerer war als er, riss ihn wieder hoch, ihr Seil schnitt ihm die Luft ab.
    Ein zweites Mal klang die Glocke zur unrechten Zeit, noch schwächer als beim ersten Schlag. Dann pendelte der schwere Körper den Schlagring aus, und der Schwung reichte nicht mehr, um die riesige Bronze zum Klingen zu bringen. Zwar hing der Küster noch an dem gespannten Seil und krallte sich hinein, um es zu lösen, doch wer immer den Knoten geschlungen hatte, verstand sein Handwerk.
    Schließlich wurde der Mann schwächer. Er sandte seiner geliebten Stadt, seiner hassgeliebten Heimat Sankt Marien, der dicken Glocke, die ihn so lange begleitet hatte, ja selbst seiner verdrießlichen Frau noch einen letzten, zärtlichen Gruß. Dann hörten seine Füße auf zu treten.

KAPITEL 12
    D unkelheit breitete sich über Lübeck aus wie ein Leichentuch und erstickte die Geräusche des Tages. Selbst die sommerlichen Vögel blieben in der Nacht stumm, als spürten sie die unsichtbare Bedrohung, die über den Häusern und Höfen lastete. Die Menschen hatten die Straßen beinahe vollständig an die Pest verloren. Nur vereinzelt glommen Lichter in den Häusern, um die Finsternis zu vertreiben. Leid und Trauer erstickten die Herzen der Menschen. Nicht so im Danzelhus am Rathaus. Das lange und schmale Gebäude war so hell erleuchtet, dass man meinen konnte, ein König wäre im Haupt der Hanse zu Gast. Stimmen drangen heraus, Gelächter, ja sogar Musik: im Langen Saal wurde gefeiert. Das üppige Bankett war noch im vollen Gange. Die silbern glänzenden Platten starrten vor Knochenresten und Fett, die riesigen Tischplatten schwammen in Rotwein und Starkbier, die Kerzen waren in den Leuchtern zu flackernden Stummeln heruntergebrannt. Trotz der späten Stunde saßen einige der reichen Bürger noch am Tisch und schlugen sich die Bäuche voll. Andere hatten sich in Grüppchen zusammengefunden.
    Bernt Notke hatte lange mit sich gerungen, ob er sich dem Bankett anschließen sollte. Dann war er mit einem essiggetränkten Tuch bewehrt und vermummt wie im tiefsten Winter durch die leeren dunklen Straßen gehetzt und doch zu spät gekommen. Anton Oldesloe hatte darauf bestanden, dass er kam, um ihn endlich ein wenig in der Gesellschaft herumzuzeigen, und nun stand er auf des Ratsherrn Drängen bei einigen Herren. Den Anlass für die Feier hatte der Maler vergessen – ob die neuen Ratsmitglieder geehrt wurden oder die Aufnahme der Gesellen in das Amt der Kaufleute -, es interessierte ihn auch nicht. Er hatte zugesehen, wie die Leute sich die Bäuche vollgeschlagen hatten, wie der gute Wein vom Rhein Krug für Krug die Wangen gerötet hatte und wie die

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