Das Mädchen und der Schwarze Tod
hinabsackte, doch Lyseke war zu schwach, auch nur die Augen zu öffnen. Unter Marikes Ohr schlug das wunde Herz wild und verzweifelt, und sie verharrte so mit Tränen in den Augen für eine Weile. »Immerhin schlägt es noch«, dachte sie mitleidig, »auch wenn es gebrochen ist.«
Schließlich hob Marike den Kopf wieder und nahm sich Lysekes Hände vor. Sie wies Alheyd an, eine Schüssel warmen Wassers zu bereiten, und bat Alberte leise, sauberes Leinen zu bringen. Dann machte sie sich vorsichtig daran, die Wunden der Freundin zu versorgen. Sie wusch die zarten Finger, die mit vielen kleinen Rissen und Schnitten bedeckt waren, und verband die schlimmsten Stellen. Bald war Lyseke ganz ruhig, schlief vielleicht gar. Nach einer Weile stahl Marike sich aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Sie atmete traurig auf und setzte sich neben die stummen Mägde auf die Bank am Herdfeuer. Sie blickte auf das Wandbild mit dem Abendmahl, an dem offenbar die blauen und blattgoldenen Partien gerade erneuert worden waren, denn sie leuchteten frisch und betonten die Heiligkeit der Szene. Marike hatte das Bild stets als Mahnung verstanden, sich mit Freunden und Feinden gemeinsam zum Brotbrechen an einen Tisch zu setzen. Doch was, wenn man nicht wusste, wer der Feind war?
»Was ist denn nur geschehen?«, fragte Marike schließlich, doch niemand gab ihr Antwort. »Alberte, wie hat euch die Nachricht erreicht?«
Die dürre Magd, die durch den Schreck völlig verstummt war, stand auf und rührte den Eintopf. Sie zuckte schließlich ergeben mit den Schultern.
»Der Herr Notke war grad hier. Da kam ein Bote mit dem Kreisel und der schlimmen Neuigkeit. Meinte, der von Kirchow sei gestürzt und hätt’ sich am Kopf totgeschlagen. Kaum war er draußen, ging das Geschrei los, ich würd alles falsch machen. Die Herrin hat mich geprügelt und Dinge nach mir geworfen«, sie brachte trotz der geschwollenen Wange ein schiefes Lächeln zustande, »aber das habt’er ja auch mitgekriegt. Nun arbeitet’se schon seit sicher’ner Stund’ an dem doofen Kreisel, meint, die Tinte muss runter,’s sei nich’ gut so. Und dann seid Ihr gekommen, Herrin.«
Mit einem mitfühlenden Blick zur Kemenate nickte Marike. »Es ist gut, Alberte. Es ist nicht deine Schuld.«
»’s arme Ding, die Herrin«, schnaufte die Magd. »Hoff nur, der Herr kommt bald wieder heim.«
Marike horchte auf. »Wo ist er hin?«
»Glaub er wollt mit’m Fron drüber reden.«
Das schien logisch. Marike wies die Mägde an, Kleinigkeiten im Haus zu verrichten, um sie zu beschäftigen. Inzwischen hatte sich der Geselle Oldesloes, Herr Matthias Prütz, der noch keine dreißig war und schon ein wenig untersetzt wirkte, still in der Dornse eingerichtet und arbeitete an den Listen und Rechnungen seines Brotherrn. Manchmal trat er kurz aus der Kammer, warf hilflos einen Blick in die betretene Runde und schlich sich wieder davon, um seiner Arbeit nachzugehen. Irgendwann, die ferne Glocke des Katharinenklosters schlug zur Non und wies darauf hin, dass es drei Stunden nach Mittag war, verließ Prütz das Haus. Marike hatte gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war.
Die letzten Stunden war kein Geräusch aus der Kemenate gedrungen, und so beschloss Marike, nach Lyseke zu sehen. Das Risiko von ihr entgegenfliegendem Geschirr wohl kalkulierend griff sie sich einen gefüllten Bierkrug und öffnete die Tür. Sie hatte recht gehabt: Die Freundin war wach. Sie saß aufrecht auf der Bank und starrte auf das helle Hoffenster. Die Besucherin schlüpfte leise in die Kammer und schloss die Tür hinter sich. Dann trat sie näher, den Krug in der Hand.
»Ich dachte, du möchtest vielleicht etwas trinken«, sagte sie leise. Die Antwort war nur ein Kopfschütteln. Also trat Marike um die Bank herum und stellte den Krug auf den Tisch. Dann zog sie sich einen Hocker heran.
»Du musst aber etwas Trinken, Liebes. Sonst trocknest du aus wie eine Pflaume.« Die Freundin reagierte nicht, sie starrte nur weiter zum Fenster heraus.
»Lyseke, ich weiß, dass du verzweifelt bist. Aber du musst doch -«
»Du bist schuld«, flüsterte Lyseke mit trockenen Lippen.
Marike senkte den Blick. »Lyseke, dein lieber Gunther ist gestürzt«, erklärte sie leise.
Doch die Freundin schüttelte müde den Kopf. »Wir haben gesündigt, und das ist die Strafe. Wir hätten niemals an diesen Ort gehen dürfen. Wir sind dorthin gegangen, weil du es wolltest. Wir hätten niemals mit diesen Fahrenden lachen und
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