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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Schultern und streckte ihr die Zunge heraus. Marike hetzte weiter, die Gedanken schon bei der Freundin.
    Schließlich stand Marike in der Diele der Oldesloes, wo trotz des hellen Mittags nur von staubverhangenen Sonnenfingern unterbrochenes Zwielicht herrschte. Der Boden war sorgfältig gefegt, es duftete nach Eintopf mit Gewürzen. Wie üblich stapelten sich an den Wänden Säcke, Fässer und Ballen zum Versand bereitstehender Handelswaren. Die Tür der Dornse rechts von ihr stand leicht offen, doch innen war niemand zu sehen. Genauso einsam wirkte die Diele mit dem befeuerten Herd, über dem ein Topf eingehängt war. Abwesend wies Marike Alheyd dorthin, und während die Magd Feuer und Essen sicherte, indem sie den Schwenkarm mit dem Topf aus der Hitze drehte, schritt die Kaufmannstochter durch die Diele zur Wendeltreppe hinüber. Sie vermutete Lyseke in ihrer Kammer im Anbau unter dem Dach. Als sie Stimmen aus der Kemenate vernahm, ließ sie die Treppe links liegen und steuerte darauf zu. Dabei schweifte ihr Blick über das Wandgemälde, auf dem der Herr Jesus Christus seine zwölf Jünger zum Abendmahl um einen Tisch versammelte.
    Ein lautes Krachen aus der Kemenate schreckte die Kaufmannstochter auf. Sie riss die Tür auf, während sie sich innerlich stählte. In welcher Verfassung sie die Freundin auch immer vorfand, sie würde für sie da sein. Doch auf diesen Empfang war sie nicht vorbereitet. Lyseke saß vor dem glimmenden Kamin auf der Bank, in der Hand einen fleckig dunkelblau gefärbten Kreisel, von dem sie mit einem schwungvoll geformten Schmiedemesser wie irre die Farbe abzuschaben versuchte. Alberte, die dürre Magd, kauerte mit rot angeschwollener Wange in einer Ecke und warf der Eintretenden einen halb Hilfe suchenden, halb warnenden Blick zu. Vor Marike auf dem Boden lagen die Steingutscherben eines schlichten Kruges in einer großen Pfütze Dünnbiers. Ein zweiter Krug stand neben der Bank auf dem Boden.
    »Lyseke?«, fragte Marike sanft. Als die Freundin herumfuhr, schrak Marike zurück. Ihr goldenes Haar hing ihr wie Stroh ins tränenfeuchte Gesicht. Die sonst so rosigen Lippen waren blass und verkrampft. An den Fingern wies sie blutige Schrammen auf, die offenbar von dem Messer herrührten. Marike wollte schon hinzueilen und ihr die Klinge aus der Hand nehmen, damit man die geschundenen Finger verbinden konnte, doch als ihr Blick den Lysekes traf, hielt sie atemlos inne. Was ihr aus diesen Augen entgegensprühte, war bitterer Hass.
    »Was willst du denn hier?«, fauchte Lyseke, die Stimme brüchig. »Hast du noch nicht genug Schaden angerichtet?«
    Marike blieb wie angewurzelt auf der Schwelle zur Kemenate stehen und starrte die Freundin an. Sie hatte mit allem gerechnet, doch nicht mit diesem flammenden Hass.
    »Ich …«, hob sie an.
    Lyseke schnitt ihr mit einer Bewegung mit dem Messer geradezu das Wort ab. »Du bist hier nicht mehr willkommen«, sprach sie mit vor Wut nur mühsam beherrschter Stimme.
    Marike war wie vom Donner gerührt. »Aber, Lyseke -«
    »Du bist nicht mehr willkommen! Mach, dass du rauskommst!«
    Marike öffnete verzweifelt den Mund, doch sie kam nicht mehr dazu, etwas zu sagen.
    »Raus, raus, raus!«, kreischte Lyseke, griff sich in einer schnellen Bewegung den zweiten Bierkrug neben der Bank und warf ihn in Marikes Richtung. Diese duckte sich schnell zur Seite, und so zerschellte der Krug an der Wand neben der Tür. Doch Marike hatte nicht damit gerechnet, dass die wütende Freundin dem Gefäß stehenden Fußes folgen würde. Lyseke warf sich mit geballten Fäusten auf sie und trommelte auf sie ein – sich des Messers in der Hand nicht mehr bewusst. »Das ist alles meine Schuld! Der Herr straft uns für unsere Sünden! Und daran bist du schuld! Du hast mich an diesen Ort geschleppt!«
    Die Magd Alberte sprang hinzu und half, Lysekes Handgelenk festzuhalten und ihr die Klinge aus der Hand zu nehmen. Marike wollte die Freundin in den Arm nehmen, doch die bäumte sich dagegen weiter auf, bis sie schließlich erschöpft und schluchzend zusammensackte. »Deine Schuld... alles nur... nur deine Schuld …«, greinte sie heiser immer wieder. Marike und Alberte betteten sie auf die Bank und legten ihr eine Decke unter den Kopf.
    Als sie die liebste Freundin so verzweifelt auf der Bank liegen sah, brach Marike fast das Herz. Sie kniete sich neben sie und umschlang sie zärtlich mit den Armen. Noch immer bewegten unkontrollierte Schluchzer sanft die Brust, auf die ihr Kopf

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