Das Mädchen und der Zauberer
auch von nichts, ich habe sie schon gefragt. Sie fängt nur wieder an zu weinen. René, gibt es eine zweite Élise Sarnoum?«
»Wie meinst du das?« Seine Stimme war noch heiserer als vorher.
»Wen habe ich aus dem Haus verdrängt?« Sie nahm das Glas hoch, trank einen Schluck von dem schweren Wein und mußte mit der anderen Hand stützend nachgreifen, so sehr zitterten ihre Finger. »Wer war vor mir. Auch eine Kreolin?«
»Es besteht überhaupt kein Anlaß, jetzt Angst zu haben. Das alles ist neun Jahre her. Es ist heute alles ganz anders.«
»Wer?« fragte sie ruhig. »René, renn nicht weg.« Sie nahm wieder einen Schluck Wein. »Mit diesen Zeitungsausschnitten fängt es an. Ich werde es doch erfahren. Und ich habe begriffen, was es sein soll: Eine Warnung! – Wer lebte vor mir hier im Haus?«
»Josephine«, sagte er hart.
»Eine Französin?«
»Eine Kreolin.«
»Die zweite Élise also.«
»Es ist völlig absurd, so etwas zu denken!« rief Birot. »Wir haben uns ausgesprochen und in Freundschaft getrennt.«
»Wo ist sie jetzt?«
»Das weiß ich nicht.« René bereute die Lüge, kaum daß er sie ausgesprochen hatte. Aber nun gab es keine weiteren Erklärungen mehr. »Sie ist weggegangen, vielleicht nach Fort de France.«
»Ich möchte mit ihr sprechen, René.«
Er starrte sie an, als habe sie etwas Ungeheures gesagt. »Das … das ist doch verrückt!«
»Warum? Ich möchte keine Feindschaft. Ich will nicht so enden wie Claudette Sanfour.«
»Das wird sich nie wiederholen!« Er dachte an die Fetischpuppe mit dem Beil im Herzen und zog ganz kurz die Schultern hoch. Vom Grillspieß rief die schwarze Köchin: »Monsieur, wollen Sie anschneiden, oder soll ich es tun? Das Schweinchen ist knusprig und saftig. Kommen Sie?« René winkte ab und klemmte die Mappe unter den Arm. »Josephine wird nie mehr hierher kommen. Chérie, denk immer daran: Heute ist der Tag Eins in unserem neuen Leben. Alles andere gibt es nicht mehr.«
Er ging zurück in die Bibliothek und rief Coulbet an. Privat, denn um diese Zeit war er nicht mehr im Hôtel de Police in der Rue Victor Sévère.
»Komm sofort her, Robert!« sagte er rauh. »Du bekommst auch ein riesiges Stück Ferkel am Spieß.«
»Josephine?« fragte Coulbet ahnungsvoll.
»Ich glaube, ja. In Petras Zimmer lag eine Mappe mit Zeitungsausschnitten. Die Sache mit Claudette und Élise.«
»O Scheiße!«
»Das kann man wohl sagen.« Birot holte tief Atem. »Es muß etwas geschehen. Natürlich hat Petra jetzt höllische Angst. Ich bitte dich: Komm her! Traust du Josephine einen Mord zu?«
»Ja.«
»Verdammt, dann tu etwas, Robert!« schrie Birot. »Wenn die Polizei weiß, daß man einen Mord plant …«
»Genau das wissen wir nicht. Ahnen ist etwas anderes als Wissen. Aber Ahnungen sind im Gesetz nicht vorgesehen.«
»Die Fetischpuppe!«
»Von wem? Jules, der Erzgauner, hat ein felsenfestes Alibi. Ich bin dabei, diesen Felsen zu sprengen, mit einer Zigarre, aber …«
»Wieviel hast du schon getrunken, Robert?« fragte René verzweifelt. »Hier sind Witze nicht angebracht. – Nur Josephine kann die Zeitungsausschnitte in Petras Zimmer gelegt haben. Ist das nicht deutlich genug? Erst die Puppe mit dem Beil, dann die Zeitungen?! Was willst du noch mehr?«
»Ich soll Josephine verhaften, das soll es doch heißen? René, das wäre dumm!«
»Wie soll ich Petra denn schützen?!« rief Birot. »Soll ich Josephine umbringen?«
»Das wäre die schlechteste Lösung. Außerdem habe ich jetzt bereits dein Geständnis. Das bedeutet lebenslänglich, mindestens aber fünfzehn Jahre! Eine Idee: Gib Josephine soviel Geld, daß sie nach Guadeloupe oder weit weg, nach St. Barthélémy, auswandern kann.«
»Sie will kein Geld, das Thema ist erledigt.«
»Was will sie denn?«
»Mich.«
»Das verstehe einer«, sagte Coulbet ironisch. »Die hübschesten Weiber haben den absonderlichsten Geschmack. Ich bin in einer Stunde bei dir, René. Halt das Ferkelchen heiß.«
Mit verschlossener Miene kam Birot zurück auf die Terrasse. Die schwarze Köchin schnitt das Schweinchen an, der Diener servierte und brachte den exotischen Salat und das mit einer Gewürzsoße getränkte Gemüse aus Avocados und Auberginen.
»Ich habe Coulbet angerufen!« sagte René und setzte sich Petra gegenüber. »Er wird dir auch erklären, daß es gar keinen Anlaß zu irgendwelcher Angst gibt.«
»Es ist gut, daß er kommt.« Petra blickte hinüber in den jetzt nachtdunklen Park und zu dem beleuchteten
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