Das Mädchen und der Zauberer
machen.
Coulbet schnitt in das Fleisch, kaute einen Bissen und seufzte laut. »Unerreicht!« schwärmte er verzückt. »Fulminant! Ich darf gar nicht daran denken, daß ich in zwölf Jahren pensioniert werde und nach Frankreich gehe.« Er trank einen Schluck Wein und seufzte noch einmal. »Madame, wie ich Sie um Ihre Jugend beneide. Sie haben noch gut und gern mindestens fünfzig Jahre vor sich! In diesem zauberhaften Land.«
»Kommen wir zur Sache, Robert!« sagte Birot dumpf. »Wir sind beide nicht in der Laune, Hymnen zu hören.«
»Die Zeitungsausschnitte.« Coulbet kaute geradezu verträumt, nahm eine Gabel voll Salat. »Der Fall Claudette Sanfour und Élise Sarnoum. Ist bei uns im Kommissariat längst vergessen. Wir haben uns damit abgefunden, daß er nie geklärt wird. Ich würde da keine Parallelen aufbauen.«
»Wer das in Petras Zimmer gelegt hat, wollte drohen!« sagte Birot mit rostiger Stimme. »Was hätte es sonst für einen Sinn?«
»Unruhe stiften.«
»Sie kennen Josephine, Commissair?« fragte Petra direkt.
»Natürlich. Gut sogar.«
»Wo ist sie jetzt? Wissen Sie das?«
Coulbet schielte zu René. Er hat es also nicht gesagt: Am Haus entlang zur Fabrik, und dahinter das rosa Haus. Gewissermaßen um die Ecke rum. Sie weiß es nicht. Bist doch ein kleiner Feigling, mein lieber René. Nun habe ich die schwarze Karte.
»Das ließe sich herausfinden«, antwortete er zögernd. »Warum?«
»Ich möchte mit ihr sprechen, Monsieur Coulbet.«
»Das halte ich für völlig verfehlt, Madame.«
»Genau, was ich auch sage!« rief Birot. »Aber sie will es nicht einsehen. – Da hörst du es, Petra. Vergangenheit – Strich drunter. So ist es am besten.«
So wäre es, wenn es da nicht Josephine gäbe, dachte Coulbet. Sie lebt noch den alten Ehrbegriff der stolzen Eingeborenen, obgleich sie ein modernes Mädchen ist: Mein Körper gehört nur einem Mann, und das bis zum Tod! – Das hättest du wissen müssen, René, als du sie in dein Bett trugst. Sie ist kein liebeshungriges Flittchen wie so viele Kreolinnen in Fort de France, die bei jeder Schiffslandung hinternwackelnd auf Männerfang gehen und genau ihren Preis kennen. Für Josephine brach ihr Leben zusammen. Aber soll man das Petra so brutal erklären? Andererseits muß sie damit leben, solange es Josephine gibt. Es könnte ein höllisches Paradies werden!
Coulbet nahm die rote Mappe und blätterte darin herum. Die Presseausschnitte riefen die Situation von vor neun Jahren wieder in ihm hervor. Die Deutsche Edith Müller, die als Reiseleiterin eine Gruppe deutscher Touristen mit einem Bus durch die Insel führte und ausgerechnet an dieser Waldlichtung stoppen ließ, weil die Riesenfarne ein so gutes Fotomotiv abgaben. Der deutsche Tourist Ewald Katorski aus Gelsenkirchen wollte einen der großen Fächerfarne von nahem knipsen, stieg in das Farnfeld und sah die aufgeschlitzte Tote liegen. Sein schriller Alarmruf jagte den ganzen Bus zur Fundstelle, und die deutschen Touristen fotografierten von allen Seiten mit wilder Besessenheit, bis jemand sagte: »Wir müssen aber nun doch die Polizei benachrichtigen!« Nur ungern trennte man sich von diesem einmaligen Fotomotiv. Martinique bot wirklich noch Überraschungen!
Schon damals hatte Coulbet ganz eigene Gedanken gehabt. Er sprach sie nicht laut aus, denn seine Kollegen im Hôtel de Police hätten ihn ausgelacht oder für reichlich blöd gehalten. Aber insgeheim kümmerte er sich um die Gerüchte, die besagten, daß der von Afrika früher nach Haiti und von dort in die Karibik gekommene Voodoo-Zauber auch auf Martinique Anhänger und sogar Priester habe, die man Houngans nannte und die über ungeheure Zauberkräfte verfügen sollten.
So lernte er Jules Totagan näher kennen. Er hatte einen vertraulichen Wink erhalten, daß der Naturheiler und ehemalige Arztgehilfe vielleicht helfen könne. Mehr nicht. Aber Jules konnte – oder wollte – nichts tun. Zum ersten Mal aber sah Coulbet in die Werkstatt eines Houngan, die Fetischpuppen der Gestorbenen, die Schalen und Töpfe mit den verschiedenen magischen Opfermischungen, die bemalten Schnitzereien, die geweihten Ketten, die Medizinen in viereckig ausgehöhlten Steinen, die Ritualbeile, mit denen die Opfertiere geköpft werden, die Orakelsteine -knochen und -perlen, die Tontöpfe mit den magischen Kräutern, die weiß gekalkten Wächterpuppen gegen die bösen Geister, die Legbas, es war ein Blick in eine für einen Weißen unbegreifliche, für immer im
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