Das Mädchen und der Zauberer
dunkeln bleibende Welt.
Damals brannte Jules in einer flachen Tonschale ein Gemisch von getrockneten Kräutern und Wurzelspänen an, ein rötlicher, beißender, stinkender Qualm stieg auf, in den Jules seinen Kopf steckte und mit geschlossenen Augen hin und her wiegte, aber dann legte er ein Tuch über die Schale und blickte Coulbet groß an. Das darf ich nirgendwo erzählen, dachte Coulbet. Man wird mich sofort in ein Hospital einliefern.
Dabei hatte er in Wahrheit gar nichts gesehen, was Jules da vorführte, war ein billiges Theater. Ohne Voodoo-Wert. Wie schnell kann man Weiße faszinieren! Ein bißchen farbiger Rauch, ein wenig gespielte Trance, und schon halten sie den Atem an. Wenn ihr den wahren Voodoo sehen könntet – oh, ihr Weißen!
»Es ist nichts!« hatte Jules gesagt, mit einer dumpfen, weit im Jenseits noch festgehaltenen Stimme.
»Was heißt das?« Auch Coulbets Stimme war heiser. Er hatte einen trockenen Hals vor Aufregung.
»Ich sehe nichts. Ich kann Ihnen nicht helfen, Monsieur le Commissair.«
Und dabei war es geblieben. Von diesem Tage an nannte Jules zwar Coulbet immer nur Monsieur le Commissair, aber der Mörder von Claudette Sanfour oder das spurlose Verschwinden von Élise Sarnoum blieben ungeklärt.
Nur einen ganz kleinen Augenblick hatte Coulbet später den Gedanken gehabt, René Birot könne vielleicht mehr von dem Drama wissen, als alle anderen. Aber das war so absurd, daß er schnell diesen Gedanken vergaß.
Coulbet legte die rote Mappe auf den Tisch zurück, trank sein Weinglas leer und winkte dem Diener, der sofort aus dem Hintergrund kam, um nachzugießen.
»Die Situation ist heute ganz anders«, sagte er gegen seine Überzeugung. Sie ist noch viel gefährlicher, dachte er dabei. Sie steckt voller Explosionen. »Außerdem waren und sind wir im Fall von Claudette nur auf Vermutungen angewiesen. Es ist nicht erwiesen, daß es sich um einen Mord aus Eifersucht handelt. Es kann ein simpler Raubmord gewesen sein, denn als man Claudette fand, hatte sie keinerlei Schmuck mehr an sich. Und sie trug gerne Schmuck. Noch wenige Tage vorher hatte René ihr ein Collier gekauft, das sie dann immer um den Hals hatte. Und Èlises Verschwinden könnte man damit erklären, daß sie aus Enttäuschung auf eine andere Insel gezogen ist. Das erfährt man nie.«
»Aber Sie geben sich mit diesen Erklärungen nicht zufrieden, Monsieur Coulbet?!«
»Ein Polizist ist nie zufrieden, wenn es sich um einen ungeklärten Fall handelt.« Coulbet knabberte an einer gefüllten Olive. »Ich habe einen Vorschlag zu machen: Brennen Sie ein Holzscheit am Grill an, Madame, und halten es an die Mappe. Und die Asche blasen Sie in den Wind. Mehr ist das alles nicht mehr wert.«
»Eine vorzügliche Idee!« René griff nach der Mappe, aber Petra war schneller. Sie riß sie an sich und legte sie in ihren Schoß. Fast hilfesuchend blickte Birot zu Coulbet hinüber.
Robert blinzelte ihm zu. Das ist wirklich eine Scheiße, dachte er. So leicht ist Petra nicht zu überreden. Natürlich weiß sie ganz genau, daß ein Raubmörder sein Opfer nicht aufschlitzt und ausbluten läßt. Das war ein Ritualmord! Und es gibt oder gab auf dieser Insel ein paar Menschen, die davon wußten.
»Wie kann ich mich schützen?« fragte sie ruhig.
Überhaupt nicht, dachte Coulbet. Nur, indem du keinen Fuß mehr aus dem Haus setzt, indem du nie mehr allein weggehst, nie ohne Bewachung bist, Tag und Nacht, dein ganzes Leben lang. Schon ein Rundgang allein durch den Park wäre gefährlich. Dieses Paradies um dich wird zum Gefängnis werden. Am sichersten wäre es, nach Deutschland zurückzufliegen. Dann müßte Birot hier alles verkaufen und irgendwo neu anfangen. Das ist fast unmöglich.
»Vor wem wollen Sie sich schützen, Madame?« fragte er matt.
Sie sah ihn an, mit großen forschenden Augen, und Coulbet war es sehr unangenehm, daß sie jetzt vielleicht dachte: Was bist du doch für ein blöder Hund! Hältst du mich für so dumm?
»Ich werde erst wieder ruhig sein, wenn ich Josephine gesprochen habe«, sagte sie und legte beide Hände auf die rote Mappe in ihrem Schoß. »Es gibt Dinge, die können nur Frauen unter sich aushandeln. Monsieur Coulbet, suchen Sie Josephine für mich? Bitte!«
»Wer kann Ihnen einen Wunsch abschlagen, Madame?« Coulbet winkte dem Diener. Nun hatte er noch einen Wein nötig, um seine Kehle zu kühlen. Ihm war entsetzlich heiß geworden. Um die Ecke rum sitzt sie in ihrem Haus, Petra. Vielleicht hockt sie
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