Das Mädchen und der Zauberer
dachte Josephine mit einer sie selbst erschreckenden Kälte. Wo ist ein Strick? Nein, ein Strick ist zu dick, das Würgen dauert zu lange. Dünn muß er sein, mit dem Zuziehen der Schlinge gleichzeitig ins Fleisch schneiden. Die Chinesen verwendeten dafür eine seidene Schnur. Eine Nylonschnur tut es auch … aber wo habe ich eine so dünne Schnur?!
Langsam ging Petra im Zimmer herum und betrachtete es genau. Sie ließ den Schaukelstuhl wippen – nimm die Hände von Renés Geschenk, zischte Josephine innerlich, die Hände weg! – und setzte sich dann in den Korbsessel. »Darf ich?« fragte sie dabei.
»Sie sitzen ja schon, Madame.«
Jetzt ist es einfach, von hinten an ihren Hals zu kommen, dachte sie dabei. Wenn sie sitzt, kann sie sich noch weniger wehren, und es fällt nicht auf, wenn ich herumlaufe und hinter sie trete.
»Sie mögen mich nicht, nicht wahr?« fragte Petra plötzlich. »Ich spüre das. Alle hier sind freundlich, nur Sie nicht. Warum?«
Jetzt müßte ich es ihr ins Gesicht schreien! Jetzt! Und sie töten! Josephine, der ersehnte, der große Augenblick ist gekommen!
Sie stieß sich von der Tür ab, fuhr sich mit beiden gespreizten Händen durch das schulterlange, schwarzglänzende Haar und kam langsam auf Petra zu.
8
Nach drei Schritten stand Josephine der im Korbsessel sitzenden Petra gegenüber. Ihre Blicke trafen sich, kreuzten sich wie Klingen und drangen unter die Haut des anderen. Petra zog wie frierend die Schultern etwas hoch. Josephine spürte das heftige Klopfen ihres Blutes in den Halsschlagadern. Sie müssen sich blähen, als blase man Luft hinein, dachte sie. Wenn sie nicht blind ist, muß sie es sehen!
»Sie haben einen – merkwürdigen Blick!« sagte Petra stockend.
»Ich will Ihre Frage beantworten, Madame, warum ich Sie nicht mag! Ich … ich bin eine Freundin von Josephine. Sie haben von Josephine gehört? Sie wissen, wer sie ist?«
»Ja. Natürlich! Monsieur Birot hat mir alles erzählt.«
»Alles?«
»Ich glaube es wenigstens.« Petra starrte Josephine in die schwarzen, harten Augen. »Sie … Sie wissen, wo Josephine jetzt ist?«
»Nein.«
»Als ihre beste Freundin …«
»Sie ist aus dem Haus geflüchtet, als Sie in dieses Haus kamen, Madame. Niemand weiß, was sie vorhat, keiner kennt ihre Gedanken. Aber sie müssen voll Rache sein.«
»Ich habe ihr nichts getan. Ich wußte ja gar nicht, daß es sie gab. Wie kann sie Rache für etwas nehmen, was ich nie gewollt habe.« Petra legte den Kopf etwas zurück und blickte an die hellgelb gestrichene Holzdecke. Ihre Kehle lag völlig frei. Jetzt ein scharfes Messer, dachte Josephine und atmete schwer. Ein einziger, schneller, tiefer Schnitt, und alles ist vorbei. Nur das Blut wird man sehen, so viel Blut kann man nicht wegwischen, es zieht in die Holzdielen ein, und Kommissar Coulbet wird keine Mühe haben, mich zu überführen. Nein, es muß unblutig sein, spurenlos … ein bleibendes Rätsel … »Deshalb will ich mit ihr sprechen.«
»Was wollen Sie, Madame?« fragte Josephine atemlos.
»Mit dieser Josephine sprechen. Von Frau zu Frau. Über alles, was uns belastet. Vielleicht lernen wir uns verstehen.«
»Das ist unmöglich.«
»Was ist unmöglich?«
»Daß Sie jemals Josephine sprechen können. Was könnten Sie ihr schon sagen? Sie sind in Kürze Madame Birot … da gibt es kein Gespräch mehr.«
»Sie sind eine Freundin von Josephine.« Petra senkte den Kopf und sah Josephine wieder groß an. Diese schönen blauen Augen, dachte Josephine. Diese verfluchten, meerblauen Augen unter den goldenen Haaren. Der Teufel hole dich! »Würden Sie mir helfen?«
»Wie denn?«
»Versuchen Sie, Josephine zu finden. Ihnen ist es vielleicht möglich, Sie wissen die Orte, wo sie sich aufhalten könnte. Und wenn Sie sie gefunden haben, sagen Sie es mir, und ich fahre zu ihr.«
»Sie haben keine Angst, Madame?« Josephines Stimme war belegt vor Erregung.
»Nein. Wovor?«
»Das ist ein fremdes Land für Sie, Madame. Es sind andere Menschen als Sie.«
»Aber es sind Menschen.«
»Ihre Ansichten vom Leben sind anders als die der Europäer. Wir lieben das Leben, ja, wir genießen es, aber ebensowenig fürchten wir den Tod.« Josephine beugte sich zu Petra hinunter, ihr Atem glitt über ihren Nacken. »Es könnte sein, daß Josephine Sie einfach tötet, ohne Sie vorher anzuhören. Sie kennen Josephine nicht!«
»Das eben will ich nachholen.« Wieder begegneten sich ihre Blicke. »Helfen Sie mir dabei? – Wie heißen
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