Das Mädchen und der Zauberer
Pigalle de Martinique nach Mitternacht!«
»Was wollen Sie hier?« fragte Casarette mit mühsamer Beherrschung. Mehr war nicht zu sagen, der Urwald gehört jedem. Hier kann jeder sein Zelt aufschlagen, ohne zu fragen.
»Zunächst seien wir höflich und stellen wir uns vor: Ich heiße Jean Aubin, Kunstmaler aus Marseille, Träger des Ersten Preises mit dem Gemälde ›Marseille nach dem Gewitter‹ …«
»Nach dem Regen«, verbesserte Jeanette.
»Ein Gewitter ist immer mit Regen verbunden, meine Süße! Sehen wir es nicht so eng.« Aubin zeigte auf Jeanette, die wieder in dem großen Suppentopf rührte und den Geschmack prüfend an der hölzernen Kelle leckte. »Das ist Jeanette, mein Püppchen. Also Hände weg von ihr, mein Freund. Sie ist auch mein Modell, und vorweg ist zu sagen, daß ich sie hier vor dieser grandiosen Naturkulisse als Akt malen werden. Also nackt! Sollte Sie das zu sehr aufregen, empfehle ich Ihnen, sich aus dem Berg große Steine mitzubringen, die Sie dann zertrümmern können. – Und wer sind Sie, Monsieur?«
»André Casarette«, antwortete Casarette finster.
»Und Sie haben sich vorgenommen, den Piton Marcel zu unterhöhlen?«
»Ich bin Geologe.« Casarette kam langsam näher. »Sie wollen hier bleiben?«
»Aber ja! Ich sage Ihnen, wir irren hier durch die Gegend, um das richtige Motiv zu finden, hoppeln über diesen Mistweg und wollten schon umkehren, da sehe ich die Lichtung, sehe eine Hütte, sehe Zivilisation und halte an. ›Eine Fata Morgana!‹ rufe ich, ›Jeanette, kneif mich mal!‹ – Aber es blieb Tatsache: Hier wohnt ein Mensch! Und dann der Rundblick – das ist es, was ich suche, habe ich gedacht. Das wird ein Bild, das den Namen Aubin in die Kunstszene katapultiert.« Aubin neigte den Kopf etwas zur Seite und musterte Casarette. »Oder stört es Sie, daß wir hier unser Zelt aufschlagen? Ich könnte mir denken, auch Sie brauchen ein bißchen Ablenkung. Immer nur Steinstaub und Papageiengekreisch.« Aubin sah sich um und machte eine weite Bewegung. »Mann, leben Sie bescheiden, um nicht zu sagen: beschissen! So was von Hütte verachteten sogar die Ureinwohner. Genial ist Ihre Wasserleitung, die habe ich bereits bewundert. Mein Vorschlag: Wir bekommen von Ihrem Wasser was mit und dürfen hier bleiben, und für Sie kocht Jeanette mit. Keine Angst vor Vergiftung: Jeanette beherrscht die große Kunst so vieler professioneller Köche: Sie kann vorzüglich Konserven öffnen und aufwärmen.«
Casarette überlegte, was man darauf erwidern konnte. Gastfreundschaft war hier selbstverständlich, eine Urform des Lebens auf Martinique, die Grundlage allen Zusammenlebens. Vor allem im Urwald war Kameradschaft unentbehrlich. Man mußte diesen Besuch also schlucken. Es gab nur das Mittel, sie wegzuekeln, durch Unhöflichkeit zu vertreiben. Aber dieser verrückte Maler sah nicht danach aus, daß er sich wegekeln oder vertreiben ließe. Es blieb also abzuwarten, wie sich alles entwickelte. Verzweifelt wurde nur die Lage von Bataille.
»Die Komplikationen fangen schon an«, sagte er und kam näher. Er nickte Jeanette zu, hob die dreckigen Hände und grinste breit. »Mademoiselle, ich kann Sie nicht gebührend begrüßen. Ich müßte mich wie jeden Abend baden … dort, in dem Holzzuber. Was machen wir nun?«
»Genieren Sie sich, Casarette? Du lieber Himmel, Sie sind nicht der erste nackte Mann, den Jeanette sieht! Benehmen Sie sich wie immer. Ich bin sogar bereit, Ihnen den Rücken einzuseifen.«
»Ich werde mich umdrehen!« sagte Jeanette, »oder aus dem Wagen den Besteckkorb holen. Soviel geballte Männlichkeit auf einmal ist kaum zu verkraften.«
Sie stand auf, ging zu dem neben dem Zelt geparkten Wagen und verschwand dahinter. Casarette begann das verschwitzte Hemd abzustreifen und stieg aus der Hose. Aus der Holzrinne ließ er das Wasser in den Trog laufen und lief in die Hütte, um Handtücher und einen Bademantel zu holen. Aubin blies weiter die Luftmatratzen auf.
Das hätten wir, dachte er zufrieden. Er nimmt uns auf. Was blieb ihm auch anderes übrig? Gespannt bin ich, wie er das Funkgerät erklären wird, wenn es sich meldet. Coulbet hat herausgefunden, daß Casarette tatsächlich ab und zu mit dem vulkanologischen Institut spricht, aber nicht mehr in den letzten drei Wochen! Mit wem hat er also gestern in Verbindung gestanden? Für Coulbet ist diese Frage noch kein Grund, Casarette ins Verhör zu nehmen. Ein freier Franzose kann hinfunken, wohin er will, solange man ihm
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