Das Mädchen und der Zauberer
Totagan sich über sie beugte, an der Schulter zurückhielt und wie begütigend sagte: »Es ist gut so, Töchterchen. Komm, es ist vorbei. Du hast deine Ehre wieder.«
Niemand hinderte Onkel Jules daran, als er Murat über seine Schulter legte, das Haus verließ und den blutigen Körper in den Kofferraum des Wagens legte. Niemand würde ihn auch verraten, das wußte er, am wenigsten die Diener Felix und Alain. Die Rache des Voodoo wäre fürchterlich und unabwendbar.
Ein wenig starr, aber so ruhig, als wäre nichts geschehen, ging Alice in die Küche, wusch sich das Blut Murats von den Händen und ging wieder hinaus. Felix und Alain lagen noch immer wie gelähmt auf dem Boden, das Gesicht auf die Kacheln gepreßt. Murats verzweifelte Schreie nach Hilfe hatten sie gehört, und sie hatten gedacht: Er hat's verdient. Wie viele wünschen ihn in die Hölle? Was hat er uns alle gequält! Wie hat er unsere Weiber und Töchter behandelt?! Nun schreit er um Hilfe. Wer aber will ihm helfen? Wie würde es ihm später gedankt? Murat kennt keine Dankbarkeit. Nur noch grausamer wird er werden. Ja, ruf um Hilfe, Herrchen, winsele um dein Leben, hab endlich einmal Angst. Voodoo ist bei dir, und da kann niemand mehr dir helfen.
Ohne daß Totagan noch jemand von Murats Leuten sah, verließ er die Plantage und fuhr zurück nach Süden. Neben ihm hockte Alice mit leeren Augen und hatte die Hände über den Brüsten gefaltet.
»Nun ist deine Seele wieder frei, Alice«, sagte Totagan väterlich.
»Ja, Onkel Jules.«
»Bist du glücklich?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich habe gemordet, Onkel Jules. Ich habe einen Menschen umgebracht.«
»Du hast ihn nach einem alten Gesetz bestraft, weiter nichts.«
»Aber er ist tot!«
»So ist das Gesetz.«
»Durch meine Hände …« Sie legte den Kopf zurück gegen die Lehne und schloß die Augen. »Bei der nächsten Beichte muß ich es sagen.«
»Ach ja, du bist ja eine Christin!«
»Wie du, Onkel Jules!«
»Das ist nur ein Mantel, Alice. Ich gehöre dem Voodoo.« Er sah sie von der Seite an. »Du willst es dem Priester sagen?«
»Ich muß es, Onkel Jules.«
»Und der Priester wird sagen: Geh sofort zur Polizei und erzähle alles! Was wirst du tun? Sie werden dich lebenslang einsperren! Keine Milde, Alice. Du bist eine Eingeborene. Eine Kreolin! Du hast immer unrecht.«
»Auch mein Priester ist ein Kreole«, sagte Alice Anamera leise. »Ich weiß nicht, was wird.«
Sie fuhren ziemlich schnell durch die Nacht nach Le Lamentin, wo sie die Straße nach Rivière Salée und Le Diamant erreichten. Es war sehr dunkel, und sie waren fast allein auf der Chaussee, nur wenige Wagen kamen ihnen entgegen oder überholten sie sogar. Die Finsternis deckte sie zu.
Und das war gut so, denn so sah niemand, daß aus einer Ritze Blut aus dem Kofferraum auf die Straße tropfte und eine dünne rote Spur hinter ihnen herzog.
Wie es die Sonderkommission von Martinique geahnt hatte, so geschah es: Comte de Massenais stattete der Yacht Carina II einen Besuch ab. Der Polizei war nicht zu verübeln, wenn sie sich jetzt die Haare raufte.
Wie sollte man sich verhalten? Was sollte man tun? Was war richtig und was war grundfalsch? Wo fing die große Blamage an?!
Wer wagte es, dem Comte nach seiner Rückkehr in die Taschen zu sehen?
Die Entscheidung mußte schnell fallen. Bataille gab auf dem Hinterdeck seiner Yacht ein kleines intimes Fest, wohl wissend, daß er von Land aus mit starken Ferngläsern beobachtet wurde. Marie Lupuse bediente in ihrem knappsten Bikini, der eigentlich bei so wenig Stoff überhaupt nicht mehr nötig war, und Bataille drapierte Hummer und Champagner so demonstrativ auf dem Tisch, daß der an einem Fernrohr stehende Polizeileutnant Philipp Dechamp neidvoll sagte: »Bei aller Achtung vor dem Gesetz, wir haben den falschen Beruf erwischt, mes amis.«
Der Leiter der Sonderkommission überwand sich und rief nach langem Nachdenken doch noch Robert Coulbet an. Er traf auf einen mißgelaunten Kommissar. Aus den Bergen, von dem Camp des Geologen Casarette, kam keine Nachricht, und sie war längst überfällig. Irgend etwas war da schiefgelaufen, und das beunruhigte Coulbet. Hinzu kam, daß auch noch René Birot sich gemeldet und atemlos mitgeteilt hatte, daß Petra nun doch mit Josephine zusammengetroffen sei, wobei sich Josephine als eine Freundin der Rachsüchtigen ausgegeben habe.
»Es gibt wirklich noch Wunder!« sagte Coulbet sarkastisch. »Petra lebt noch? Da kann man ja direkt
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