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Das Mädchen und der Zauberer

Das Mädchen und der Zauberer

Titel: Das Mädchen und der Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Aufgabe breitete er die Arme aus. »Name …« stammelte er. »Name … ich muß euch anmelden …«
    Mit einem gewaltigen Hieb schlug Jules den schweren geschnitzten Stab auf den Kopf des Wärters. Der Mann brach in die Knie, Blut stürzte aus seinem Mund, dann fiel er auf die Seite und starb. Ungerührt stieg Jules in seinen Wagen zurück.
    »Er weiß, wer ich bin und verbietet mir den Weg … wie kann man dann noch leben?« sagte er, gab Gas und rollte die Allee hinauf.
    Pierre Murat saß um diese Zeit auf der Terrasse hinter dem Haus, trank seinen geliebten Calvados und genoß, wie seit Jahren, den Sonnenuntergang über den Bergen. Als er Schritte hinter sich im Salon hörte, drehte er sich nicht um. Er nahm an, es seien Felix und Alain, die kreolischen Diener, die das Abendessen vorbereiteten.

10
    In gewissen Augenblicken, zu denen etwa ein Sonnenuntergang auf Martinique gehörte, konnte Pierre Murat sogar ein Romantiker sein. Niemand würde ihm das zutrauen. Er war ein bulliger, strenger Mensch, der seine Plantagen kontrollierte wie einstmals die Kolonialherren; bei ihm schien die Zeit stehengeblieben zu sein, nichts war da von der Freiheit des Individuums, von der Selbstbestimmung, von einem Hauch von Sozialismus und Menschenwürde. Er bekam das ein paarmal zu spüren bei den seltenen Streiks, die politische Einpeitscher, vor allem aus dem kommunistischen Lager, auch auf Martinique anzettelten. Seine Plantagen waren die ersten, die still lagen. Aber Murat kümmerte das wenig. Er wartete das Ende des Streiks ab, und wenn die Arbeiter wieder erschienen, warf er sie hinaus, aus der Farm, aus ihren kleinen, bunt bemalten Holzhäusern, in denen sie als seine Arbeiter mietfrei wohnten, aus ihrer Umgebung, in die sie sich eingelebt hatten. Und niemand konnte etwas dagegen tun. Zwar erschienen dreimal Gewerkschaftsfunktionäre bei ihm, aber das war nun völlig falsch, denn bei dem Wort Gewerkschaft reagierte Murat wie ein Stier auf ein rotes Tuch.
    Zweimal prügelte er die kreolischen Gewerkschaftsfunktionäre aus dem Haus, eigenhändig, mit einer kurzstieligen Lederpeitsche, einmal – da waren die Arbeitervertreter sogar Weiße – verzichtete er auf diese Art der Argumentation, bot einen höllischen Rum an, machte die Volksvertreter sinnlos besoffen, zog sie nackt aus und legte sie an die Hauptstraße. Sie kamen nie wieder. Zwei von ihnen zogen sogar, vom Spott vertrieben, nach Guadeloupe.
    Viermal wurden bereits Attentate auf Murat verübt, immer erfolglos, und je mehr man Murat anfeindete, um so härter und unnachgiebiger wurde er. Es war eine höllische Kraftprobe, und Murat gewann sie. Die Neger und Kreolen brauchten die Francs, die man auf seinen Plantagen verdienen konnte, Murat gab ihnen Essen und ein Haus und eine gewisse Sorglosigkeit der Zukunft gegenüber, wenn man nur alles tat, was er befahl. So beugte man sich ihm in der alten Sklavenansicht: Lieber schlecht leben, als elend sterben. Vor allem die schönen Töchter der Landarbeiter dachten so. Wenn Murat sie zu sich rief – und jeder wußte, was dann in dem weißen Herrenhaus geschah – weigerte sich keine. Man wußte: Der strenge Herr konnte auch großzügig sein, wenn es ihm besonders gut gefallen hatte. Dann bekam man einen Batzen Geld zum Abschied, oder ein Schmuckstück, oder einen Gutschein, mit dem man im firmeneigenen Kaufhaus einkaufen konnte, oder der Papa wurde Vorarbeiter.
    Heute abend hatte Murat seine kurze romantische Stunde, als die Sonne glutrot über Bergen und Meer stand. Er trank genußvoll seinen Calvados, war mit dem vergangenen Tag zufrieden und hatte sich vorgenommen, heute allein zu Bett zu gehen und tief zu schlafen. Für morgen erwartete er Marie Hélène, die Tochter des Verwalters der Ananasplantage, von dem er wußte, daß er jedesmal Morddrohungen ausstieß, wenn Murat seine Tochter rief. Aber gerade das machte es für Murat besonders reizvoll, mit Marie Hélène die Nächte zu verbringen. Sex in Todesnähe, das regte Murat ungemein an.
    Träge lehnte er jetzt den Kopf zurück und lauschte ins Innere des Hauses. Felix und Alain schienen den Tisch gedeckt zu haben, es war still im Speisesalon.
    »Was ist?« rief er mit seiner strengen Stimme. »Wo seid ihr, ihr Hundesöhne?!«
    Er konnte nicht ahnen, daß Alain und Felix in der Küche auf dem Boden lagen, die Gesichter fest auf die Kacheln gepreßt, wie gelähmt durch die Berührung mit dem Voodoo-Stab, den Jules Totagan ihnen über den Schädel gehalten hatte. Sie

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