Das Mädchen und der Zauberer
»Es kommt ein Wagen hoch!« schnarrte es aus dem Mikrofon. »Sollen wir uns um Bataille und Massenais auch kümmern?«
»Nein! Noch nicht! Erst bei der Übergabe der ersten Sendung. Sie sollen sich ihrer Sache völlig sicher sein. Wenn Sie Coulbet sehen, sagen Sie ihm: Ich bewundere seine Nase. Sie ist wie die eines Jagdhundes! Ende.« Aubin steckte den Drehbleistift weg und streckte die Hand aus. »André, was hindert Sie noch, mir die Kombination des Tresors zu nennen?«
»23 87 19.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»1923 ist meine Mutter geboren, 1919 mein Vater und 1887 mein Großvater.«
»Und hinter so viel Familiensinn stecken nun viele illegale Millionen Dollar! Ihr Pech ist ungeheuerlich, André.«
»Ich sagte es schon: Der Teufel soll Sie holen!«
Es dauerte noch drei Stunden, bis ein Citroën sich knatternd in die Wildnis gequält hatte. Zwei Polizisten grüßten stramm vor Aubin und legten dann Casarette die Handschellen an. Er lief frei herum, Jeanette hatte aus Büchsen ein Essen zubereitet – Kartoffeln, Gulasch und Auberginengemüse – und sie saßen wie gute Freunde am Tisch, als der Polizeiwagen erschien.
»Ich werde oft an Sie denken, Jean!« sagte Casarette zum Abschied. »Sie sind das Raffinierteste, was herumläuft! Aber Sie haben ein Herz, und das findet man selten bei Leuten Ihrer Sorte! Nehmen Sie Jeanettes Rat an, werden Sie Maler. Es wäre wirklich schade, wenn Sie ins Schußfeld einer Mafia-Maschinenpistole gerieten. Adieu, Freunde!«
Es war ein Abschied, der Aubin tatsächlich zu Herzen ging.
Robert Coulbet erschien im Haus von René Birot wie ein Granateneinschlag. Er stürmte die Treppe hinauf, rannte fast den verblüfften Babou um und stürzte in Birots Arbeitszimmer. René diktierte gerade auf Band einige Schreiben an seine neuen Kunden in England.
»Wo ist Petra?« schrie Coulbet ohne Begrüßung.
»Im Garten. Warum?«
»Allein?!«
»Ja. Hier im Garten …«
»Du Vollidiot! Du kennst wie ich den Voodoo! Ich habe dir gesagt: Laß sie nicht aus den Augen, nicht die nächste Woche, auch nicht im Garten! Los! Bewege deinen Arsch! Hol sie zurück, oder geh mit ihr spazieren! Ich kümmere mich um Josephine.«
»Josephine?« Birot blickte auf seine Schreibtischuhr. »Sie müßte jetzt in der Fabrik sein. Seit gestern sitzt sie wieder im Betriebsleiterbüro.«
»Wenn dem so ist, schwöre ich, einen Tag keinen Rum zu trinken!« Coulbet warf sich herum und stürzte wieder davon. Birot lief in entgegengesetzter Richtung zur Terrasse und von dort hinunter in den weitläufigen Garten. Schon von weitem sah er Petras weiße Bluse zwischen den hohen Bougainvillea-Büschen leuchten und atmete auf. Jetzt dreht Coulbet durch, dachte er. Jetzt sieht er überall Voodoo-Gespenster. Dabei scheint es, als ob sich Josephine beruhigt hat und sich in die unabwendbare Lage fügt. Man sollte Coulbet jetzt festhalten und zu ihm sagen: Laß die Zeit arbeiten, Robert. Warte ab.
Coulbet machte sich gar nicht erst die Mühe, in der Fabrik nach Josephine zu fragen, er fuhr sofort zu ihrem rosa Häuschen und stürmte es wie eine reif geschossene Festung. Was er erwartet hatte, konnte ihn nicht mehr erschrecken: Alles sah nach einem überstürzten Weggang aus, ihr Fabrikkleid lag auf dem Boden, ebenso die Arbeitsschuhe. Sie hatte also tatsächlich in der Fabrik gearbeitet, nur war sie plötzlich und ziemlich erregt aufgebrochen. Was Coulbet aber den Ernst der Lage am deutlichsten zeigte, war das Fehlen ihrer hausbeschützenden Voodoo-Puppe, der bunt bemalten Legba, die das Eindringen böser Geister verhindern soll. Durch die Mitnahme der Legba zeigte Josephine, daß sie das Haus nie mehr betreten würde. Es war allen Eindringlingen schutzlos überlassen.
Coulbets Gedanken jagten. Was bisher nur ein Verdacht gewesen war, wurde jetzt als Tatsache bestätigt: Jules Tsologou Totagan, der große Houngan des Voodoo von Martinique, hatte seine Nichte zu sich gerufen. Der Tag ihrer Rache war gekommen, und Josephine sollte den tödlichen Zauber in seiner Nähe erleben. Das Urteil über Petra war gesprochen, die Vernichtung hatte begonnen.
Es brauchte keine lange Fragen, bis Coulbet wußte, was geschehen war. Ein Bote war gekommen – eine Nachbarin erzählte es mit einem hämischen Grinsen, denn es galt ja, der weißen Polizei ihre Ohnmacht zu zeigen – hatte Josephine aus der Fabrik geholt, sie hatte sich umgezogen und war mit ihm weggefahren. Auf einem Motorrad. Nicht auf der Straße hinunter nach Anse
Weitere Kostenlose Bücher