Das Mädchen und die Herzogin
Neuburg an ihnen vorbeimarschierte, nicht ohne ihnen einen misstrauischen Blick zuzuwerfen.
«Um ganz offen zu sein», jetzt flüsterte er, «wir mussten dem Herzog unsere Bedenken vortragen, unsere allerhöchsten Bedenken über die nach wie vor üble Lage im Herzogtum und die Unzufriedenheit bei den Ständen, vor allem dem Stand der Landschaft. Dort droht ein Aufruhr. Die Ehrbarkeit spricht schon von Absetzung: Gehe es so weiter mit der verschwenderischen Hofhaltung, so werde man Herzog Ulrich zu zwingen wissen, das Regiment an seinen Bruder oder gar an die Landschaft zu übergeben.»
«Absetzung?», fragte Sabina fassungslos. Doch es war nicht der Schreck, der ihr in die Glieder fuhr. Es war ein Gefühl von Erleichterung, ja Erlösung. Konnte das nicht auch der Ausweg aus ihrem eigenen Unglück sein? Wenn sie tatsächlich einen Jungen zur Welt brachte, einen gesunden Jungen, dann wäre dieser der rechtmäßige Nachfolger des Herzogs. Und bis zur Volljährigkeit des Prinzen könnte sie selbst, als Herzogin von Wirtemberg, gemeinsam mit der Landschaft in Vormundschaft regieren. Ein solcher Fall war in der Geschichte der Fürstenhäuser gar nicht so selten. Und Ulrichwürde man weit weg außer Landes schicken. Zwar ginge dies nicht ohne Erlass des Kaisers vonstatten, aber war sie nicht seine Lieblingsnichte? Sie musste nur die Räte und Landstände dazu bringen, mit ihr an einem Strang zu ziehen.
«Ihr lächelt?» Verunsichert sah Dietrich sie an. «Um es kurz zu machen: Wir mussten recht offen werden, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen, und brachten viele Bedenken vor, aber auch, wie ich meine, äußerst brauchbare Ratschläge.»
«Und wie hat er das aufgenommen?»
Dietrich lächelte gequält. «Als wir ihn baten, auf ein besseres Verhältnis zum Kaiser, zum Hause Habsburg und zu den Eidgenossen zu achten, wurde er bleich wie der Tod, schmetterte sein Weinglas zu Boden und ging wortlos hinaus. Damit war die Sitzung zu Ende. Für heute, denk ich, wird nicht mehr gut Kirschen essen sein mit ihm. Aber macht Euch keine Sorgen, wir werden das alles wieder ins Lot bringen. Vertraut nur auf Doctor Reuchlin und mich.»
Ins Lot kam vorläufig gar nichts mehr. Im Nachhinein schien es Sabina sogar, als sei der unglückselige Verlauf dieses Hochzeitsfestes ein böses Vorzeichen gewesen für das ganze restliche Jahr. Zunächst hatte alles seinen Lauf genommen, wenn man davon absah, dass der Speisenmeister die Mahlzeit schon zum zweiten Mal an diesem Tag in absentia des Herzogs eröffnen musste. Der erschien erst, als bereits, unter zarten Flötenklängen, die Süßspeisen aufgetragen wurden, und wie jeder sehen konnte, war er sturzbetrunken. Breitbeinig, mit rotem Kopf, stand er unter den prächtigen Schnitzereien des Eingangsportals, neben seiner geliebten Jagdtrophäe, einem kalbsgroßen, ausgestopften Wildschwein auf Rädern, das er angeblich als junger Mann auf dem nahen Rossfeld erlegt hatte. Der Herrscher und das Schwein, dachte Sabina bitter.
«Soll das etwa ein Hochzeitsfest sein?» Ulrich schwankte gegen den Türpfeiler. «Man möchte meinen, ihr sitzt beim Leichenschmaus. He, Musikus!»
Der Pfeifer unterbrach sein Spiel, und Sabina beobachtete, wie Ulrich, nach einigen Fehlversuchen, mit der Fußspitze ein Pedal herunterdrückte, das sich an dem hölzernen Unterbau der Trophäe befand. O nein, das nicht auch noch! Bei jeder Gesellschaft aufs Neue musste Ulrich demonstrieren, zu seiner ureigenen kindischen Freude, wie ein geheimer Federmechanismus den riesigen Schwarzkittel in Bewegung zu setzen vermochte, und zwar in eine ungeahnt schwungvolle. Auch jetzt sauste das Vieh quer durch den Speisesaal, geradewegs gegen das Schienbein des Musikanten. Der schrie schmerzerfüllt auf, seine Zwerchpfeife flog in hohem Bogen gegen die Wand und zerbrach. Die ganze Gesellschaft hockte wie versteinert vor ihren Tellern. Der Herzog war der Einzige, der in dröhnendes Gelächter ausbrach.
«Da hab ich wenigstens einen zum Singen gebracht! Los Spielmann, hol die anderen. Wir wollen hinauf in den Festsaal, zum Singen und Tanzen.»
Der arme Mann humpelte auf einem Bein und mit verzerrtem Gesicht hinaus. Eher unwillig erhoben sich nach und nach die Gäste, Herzog Heinrich blieb gar sitzen und hieb grimmig den Löffel in seine Mandelpastete.
«Was ist mit Euch, Schwager?», raunzte Ulrich. «Habt Ihr Euch den Wanst noch nicht voll genug gehauen?»
Der Angesprochene legte den Kopf schief. «Mich wundert, dass es Euch so zum
Weitere Kostenlose Bücher