Das Mädchen und die Herzogin
hatte?
«Gott zum Gruße, Herr Pfarrer», stammelte sie mit dünner Stimme.
«Gott zum Gruß, Marie.»
Muthlein wandte sich lächelnd an Vitus.
«Und du bist, vermute ich, Vitus. Hast es also geschafft zu kommen.»
Vitus nickte nur, und Marie konnte ihm ansehen, wie unangenehm ihm diese Bemerkung war. Er musste ja denken, dass Muthlein über sie beide genauestens Bescheid wusste. Jetzt legte der Pfarrer ihr auch noch die Hand auf die Schulter.
«Du solltest dich beeilen heimzukommen. Dein Oheim sucht schon nach dir.»
Als Muthlein weitergegangen war, sagte Vitus: «Jung ist er, dein Pfarrer!»
«Er ist nicht mein Pfarrer», entgegnete Marie fast ärgerlich. Er ergriff ihre Hände.
«Verzeih mir, das war blöd. Ich muss jetzt los.»
Sie umarmten sich ein letztes Mal, und Marie sah die Tränen, die in seinen Augen standen.
«Bis bald», flüsterte sie.
«Bis bald, Marie. Und warte auf mich, wie lange es auch dauern mag. Versprichst du das?»
«Ja!»
Sie sah ihm nach, wie er zum Waldrand zurückging, wo das Pferdchen wartete, wie er aufsaß, ihr noch einmal zuwinkte und dann in entgegengesetzter Richtung davontrabte, bis er schließlich im Halbdunkel des Waldweges verschwunden war.
Wie sehr sie ihn liebte! Sie musste darauf vertrauen, dass er wiederkam. Dann aber hallte ein einziges Wort in ihrem Ohr: Hedwig. Und dieser Name legte sich wie ein dunkler Schatten über die glückseligen Stunden dieses Tages.
Sabina war maßlos enttäuscht. Mit ihren einundzwanzig Jahren war sie im besten Frauenalter, sie hatte ein gesundes, hübsches Mädchen zur Welt gebracht, war Fürstin eines nicht unbedeutenden Landes im Reich, und doch versagte ihr Mann ihr immer wieder den Respekt. Wie konnte er es wagen, sie des Ehebruchs mit seinem Stallmeister zu verdächtigen, während er selbst ungeniert seinem Luderleben nachging? Damit hatte er alles, was in den vergangenen Monaten an Vertrautheit zwischen ihnen gewachsen war, wieder zerstört.
Sie merkte selbst, wie sie seit der Tauffeier, zu der sich erneut alles, was Rang und Namen hatte, in der Residenz versammelt hatte, zunehmend an Haltung verlor. Ihr altes, hitziges Temperament brach wieder durch, und es konnte geschehen, dass sie gegenüber ihren Frauen beim geringsten Anlass heftig und grob wurde. So war sie heilfroh, als Ulrich sich in ein neues Abenteuer stürzte und für den Burgunderfeldzug des Kaisers rüstete. Damit würde er wenigsten auf Monate hin außer Landes sein.
Kein Wort hatte Ulrich ihr von diesem Vorhaben erzählt,alles hatte sie seinen Ratgebern und Hofbeamten aus der Nase ziehen müssen. Sie ahnte, dass diese kostspielige Unternehmung das Land nur noch weiter in den Ruin treiben würde. Jeder vernünftige Regent hätte die kaiserliche Bitte um Unterstützung abgelehnt. Aber wahrscheinlich erhoffte Ulrich sich reiche Kriegsbeute. Oder es war nur ein weiterer Beweis für seine Geltungssucht und Abenteuerlust – Sabina war es einerlei, Hauptsache, er war fort.
Nachdem er endlich aufgebrochen war, versuchte sie, wieder so etwas wie Freude in ihren Alltag zu bringen, was ihr dank ihrer kleinen Tochter Anna schnell gelang. Sie genoss die warmen Sommerabende im Hofgarten oder am Ufer des Nesenbachs, in der vertrauten kleinen Gemeinschaft mit Lioba, ihrer Kammerjungfer Jacobäa, der Amme und dem Hofzwerg, der einen Narren an dem Säugling gefressen hatte. Irgendwann hatte sie auch eine der hartnäckig wiederkehrenden Einladungen seitens Dietrich Speths angenommen, und nachdem sie die erste Scheu und Unsicherheit überwunden hatte, begann sie bald aus- und einzugehen in dem hübschen Stadthaus der Speths. Was Dietrich betraf, so redete sie sich ein, dass jener Kuss niemals stattgefunden hatte, stattdessen suchte sie die Nähe zu seiner Frau. Nicht, dass sich eine tiefe Freundschaft mit Margretha Speth entwickelt hätte, dazu war die Frau des Ritters viel zu zurückhaltend. Aber ihre Stube war ein Ort der Wärme, der Behaglichkeit und Vertrautheit, der ihr immer offenstand und zu dem sich auch Johannes Reuchlin mit seiner Frau Anne gerne gesellte.
Den ganzen Sommer über hörte man von Ulrichs militärischen Erfolgen, bis im Spätherbst die Hiobsbotschaft eintraf: Bei der Belagerung von Dijon hätten die verbündeten Eidgenossen Ulrich und dem Kaiser im letzten Moment den Rücken gekehrt und Reißaus genommen, woraufhin derganze Feldzug in einem blutigen Fiasko mit zahllosen Toten endete. Es hieß, Ulrich sei hierüber in lähmende Schwermut
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