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Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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haßte den Poncho jetzt; sie wußte nicht, weshalb, aber er schien alles zu symbolisieren, was schiefgegangen war). »Bitte, hör auf.« Aber das tat die kalte Stimme nicht. Die kalte Stimme hatte noch etwas zu sagen. Sie mußte wenigstens noch einen Satz loswerden.
    Oder vielleicht stirbst du nicht einfach. Vielleicht bringt das Ding dort draußen dich um und frißt dich. Trisha blieb neben dem umgestürzten Baum stehen - mit einer Hand umklammerte sie den Stumpf eines abgestorbenen kleinen Asts - und sah sich nervös um. Seit sie aufgeschreckt war, hatte sie eigentlich nur daran denken können, wie schlimm es sie überall juckte. Doch der Schlamm hatte jetzt den gröbsten Juckreiz und das weiterhin spürbare Pochen der Wespenstiche gestillt, und sie erkannte wieder, wo sie war: allein bei Nacht im Wald. »Wenigstens scheint der Mond«, sagte sie, als sie so neben dem Baumstamm stand und sich nervös auf ihrer kleinen halbmondförmigen Lichtung umsah. Sie wirkte jetzt noch kleiner, als seien die Bäume und das Unterholz näher herangekrochen, während sie geschlafen hatte. Heimlich näher gekrochen.
    Auch das Mondlicht war keine so gute Sache, wie sie gedacht hatte. Auf der Lichtung schien es hell, das stimmte, aber das war eine täuschende Helligkeit, die alles zu wirklich und zugleich ganz unwirklich erscheinen ließ. Die Schatten waren zu schwarz, und sobald eine Brise die Bäume bewegte, veränderten die Schatten sich auf beunruhigende Weise.
    Im Wald keckerte etwas, schien abgewürgt zu werden, keckerte nochmals und verstummte. In der Ferne schrie eine Eule. In der Nähe knackte ein Zweig.
    Was war das? dachte Trisha und drehte sich nach dem Knacken um. Ihr Puls begann sich zu beschleunigen: vom Gehen übers Joggen bis zum Rennen. In wenigen Sekunden würde er zu einem Spurt ansetzen, und dann würde vielleicht auch sie spurten - wieder in besinnungsloser Panik und wie eine Hirschkuh auf der Flucht vor einem Waldbrand.
    »Nichts, das war nichts«, sagte sie. Sie sprach halblaut und rasch ... ganz im Tonfall ihrer Mutter, obwohl ihr das nicht bewußt war. Sie wußte auch nicht, daß ihre Mutter in einem Motelzimmer dreißig Meilen von der Stelle entfernt, an der sie neben dem umgestürzten Baum stand, aus unruhigem Schlaf hochgeschreckt war: mit offenen Augen, noch halb träumend und erfüllt von der Gewißheit, ihrer vermißten Tochter sei etwas Schreckliches passiert oder es werde ihr gleich zustoßen.
    Was du hörst, ist das Ding, Trisha, sagte die kalte Stimme. Sie klang äußerlich betrübt, innerlich unsagbar frohlockend. £5 kommt dich holen. Es hat deine Witterung aufgenommen.
    »Es gibt kein Ding«, flüsterte Trisha mit verzweifelter, zittriger Stimme, die jedesmal in völlige Stille zerstob, wenn sie unsicher anhob. »Komm schon, laß mich in Ruhe, es gibt kein Ding.«
    Der trügerische Mondschein hatte die Formen der Bäume verändert, hatte sie in Knochenschädel mit schwarzen Augen verwandelt. Das Geräusch zweier Äste, die sich aneinander rieben, wurde zum schleimigen Röcheln eines Ungeheuers. Trisha drehte sich unbeholfen im Kreis und versuchte, überall gleichzeitig hinzuschauen, ihre Augen rollten dabei in ihrem schlammbedeckten Gesicht. Es ist ein spezielles Ding, Trisha - das Ding, das Verirrten außauert. Es läßt sie herumlaufen, bis sie richtig Angst haben - weil Angst ihren Geschmack verbessert, weil sie das Fleisch süßer macht -, und holt sie sich dann. Du wirst schon sehen. Es kommt jeden Augenblick unter den Bäumen heraus. Eigentlich schon in ein paar Sekunden. Und wenn du sein Gesicht siehst, wirst du verrückt. Könnte dich jemand hören, würde er glauben, daß du schreist. Aber du wirst lachen, nicht wahr? Denn das tun Verrückte, wenn ihr Leben endet, sie lachen ... und sie lachen ... und sie lachen.
    »Hör auf, es gibt kein Ding, es gibt kein Ding im Wald, hör endlich auf damit!«
    Das flüsterte sie mit atemloser Schnelligkeit, und ihre Hand, die den Stumpf des abgestorbenen Asts hielt, umklammerte ihn fester und fester, bis er mit einen lauten Knall abbrach, der an eine Starterpistole erinnerte. Dieses Geräusch ließ sie zusammenfahren und einen kleinen Schrei ausstoßen, aber zugleich beruhigte es sie auch. Schließlich wußte sie, was das gewesen war - nur ein kleiner Ast, den sie abgebrochen hatte. Sie konnte noch Äste abbrechen, sie hatte die Welt noch soweit im Griff. Geräusche waren nur Geräusche, und Schatten waren nur Schatten. Sie konnte sich ängstigen,

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